Wolfgang Tomášek

 

 

 

Grenzen der Genauigkeit?

 

Einige un-praktische Gedanken über Buchführung

 

 

Öko-Text

 

10

 

Stand 1.9.2001 (1995)

 

(München: Verband Deutscher Buchhalter 1996)

 

 

 

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1.   Kostenschätzung in die Zukunft: Grenzen der Genau­igkeit

2.   Buchführung über die Vergangenheit: Genauigkeit ohne Grenzen?

3.   Genaue Buchführung als Vorbeugung gegen Schma­rot­zer

4.   Ungenaue Buchführung - aber auf präziser Grundlage

 

 

 

 

1.  Kostenschätzung in die Zukunft:

Grenzen der Genau­igkeit

 

Kostenschätzung

und Kostenvoranschlag

mit begrenzter

Genau­igkeit

 

 

 

 

Daß eine Kostenschätzung nur ein gewisses Maß an Genau­­igkeit haben muß, ist allgemein anerkannt. Die absolute Genauigkeit hängt ab von der Größe des Vorha­bens, dessen Kosten ge­schätzt werden, die relative Genauigkeit vom Zweck der Schätzung. Ein Kostenvor­anschlag ist im allgemeinen genauer als eine Kosten­schätzung, weil auch verbindlicher. Dennoch muß man schmunzeln, wenn ein Unter­nehmer einen Ko­sten­vor­anschlag bei einer Größen­ordnung von Tausen­den von Mark auf den Pfennig genau aus­wirft.

 

Jedem ist bekannt, daß man die Zukunft nicht bis in die Einzel­heiten vorher­sehen kann und daß deshalb Kosten­schät­zungen und Kostenvoranschläge in die Zukunft hinein nur relativ genau sein können. Außerdem ist bekannt, daß jede Kosten­schätzung selbst Zeit und Arbeit, damit Ko­sten verur­sacht. Den Vorteilen durch die Steigerung der Genau­igkeit einer Schät­zung stehen also die entsprechenden Kosten gegenüber. Wenn die Kosten für ein Vorhaben und für die Schätzung aus einer Hand bezahlt werden, dann wird die Genauigkeit der Schät­zung nicht bis in den unwirt­schaftli­chen Bereich vor­angetrieben werden.

 

Optimale Genauig­keit

kann nicht genau

be­stimmt werden ...

 

Um aber die optimale Genauigkeit für eine Kosten­schät­zung zu bestimmen, bräuchte man eine eigene Schät­zung, die selbst wiederum Kosten ver­ursachen würde. Auch diese Kosten zweiter Stufe könnte man in einer Ko­stenschätzung zweiter Stufe bestim­men. Klar, daß man die­ses Spiel beliebig wei­ter­treiben könnte. Die Kosten für eine immer genauere Schät­zung auf immer höherer Stufe könnten eventuell sogar größer gemacht werden als die Kosten für das Vorha­ben selbst. Ergebnis: Schät­zung von Kosten kann selbst Kosten verändern. Folglich:

 

 

 

o   Es ist nicht sinn­voll, die Ge­nau­igkeit einer Kosten­schät­zung über einen gewis­sen Grad hinaus zu trei­ben; der optimale Genau­igkeitsgrad kann nicht genau bestimmt werden.

 

Pragmatische Genauig­keit durch Pro­bie­ren über längere Zeit­räu­me

 

In der Praxis behilft man sich mit einem Spielraum von vielleicht 10%, setzt vielleicht 10% "für Unvorhergesehe­nes" ein. Nur wenn im Ein­zelfall im Kon­kurrenz­feld die Genau­igkeit zum Eng­paß wird, ver­sucht man genauer zu schät­zen. Man tastet sich also letztlich durch blindes Probie­ren im Rahmen von länger­fristig gesammelten Erfah­rungswerten an das relative Genau­ig­keits-Optimum für Schätzun­gen auf einem be­stimm­ten Gebiet her­an.

 

... mit entsprechendem

Risiko

 

Damit entsteht aber ein handfestes Risiko. Das gan­ze abschätzende System haftet letztlich "mit Haut und Haar" für die Brauch­barkeit der Schät­zung.

 

Größere Genauigkeit

durch Untersuchung

vieler vergleichbarer Fälle

 

Dennoch ist es denk­bar, die Genauigkeit von Kosten­schät­zungen auch unter Berücksichtigung der Schät­zungs­kosten selbst zu stei­gern und zwar durch wis­sen­schaftliche Unter­su­chungen einer Vielzahl von Schätzun­gen in einem ver­gleich­baren Milieu, samt den Ver­knüp­fungen zwischen den Einflußfak­toren. Schät­zun­gen werden untersucht; Ver­gleiche wer­den ange­stellt zwi­schen Schät­zung und später einge­tre­tener Kostenrea­lität; Zeit- und Mittelaufwand für Ko­sten­schät­zungen werden untersucht; Schätz-Be­fra­gungen und Schätz-Experimente werden durch­geführt, Durch­schnitte und Richtwerte gebildet.

 

Wissenschaftliche

Untersuchungen

von größeren Verbänden

getragen

 

Nun würden solche wissenschaftliche Unter­suchungen über die opti­male Genauigkeit von Ko­sten­schätzungen selbst erhebli­che Kosten ver­ursachen, die ein ein­zelner Schät­zer nie auf­bringen könnte und wollte. Dennoch könnte es im längerfristi­gen Interesse einer Vielzahl von Kosten­schät­zern liegen, zumindest für ihr Fachgebiet eine Theo­rie der Kostenschätzung zur Verfügung zu haben, auf die sie bei der Entscheidung über die anzustreben­de oder zu duldende Schwan­kungsbreite von Kosten­schät­zungen zurückgrei­fen könnten. Eine ent­sprechen­de Unter­su­chung könnte also dann zu einer vertret­baren Ausgabe für einen Branchenverband oder eine ganze Volkswirt­schaft werden, wenn die Vor­teile durch das Vorlie­gen einer solchen Un­ter­suchung die Nachtei­le immer wie­derholter Fehl­schätzung plus die Kosten für eine solche Untersuchung plus die Kosten für die Vermitt­lung der Ergebnisse über­steigen.

 

 

o   Die letzte Genauigkeit von Kosten­schätzun­gen kann nicht erreicht werden durch noch ge­naue­res Unter-die-Lupe-Neh­men des Einzelfalls, sondern durch Über­lagern vieler Bilder von Ko­sten­schätzungen zu einem in den Kon­turen zwar unschar­fen, in seinen Propor­tionen aber sicheren und ex­akten Gesamtbild.

 

 

 

2.  Buchführung über die Vergangenheit:

     Genauigkeit ohne Grenzen?

 

 

Kann Buchführung von Kostenschätzung lernen?

 

 

 

 

Sicherlich gibt es sol­che Untersuchungen über Ko­sten­schät­zungen schon längst. Bei Un­ter­nehmen und Institu­tionen, die immer wie­der Kosten schätzen müs­sen, wer­den auch wissenschaftliche Ergeb­nisse be­rück­sichtigt. Das entspricht etwa der Anwendung der Fehler­theorie im Vermessungs­wesen. Die hier aufge­worfene, weiterführende Frage ist jedoch:

 

 

o   Läßt sich von der Ko­sten­schätzung in die Zukunft hinein etwas lernen für die Buchführung über die Vergangenheit? Gibt es eine optimale Ge­nauigkeit in der Buchführung, die von der maximalen Genauigkeit verschieden ist?

 

Prinzipieller Unterschied:

Über Vergangenes gibt es Dokumente, über Zu­künfti­ges nicht

 

Nun wird man gleich einwenden können: Für die Ver­gan­genheit gibt es Dokumente, für die Zukunft nicht. Es ist nachprüfbar, was auf den Preis-Etiketten oder Quittungen steht, was für Waren im Einkaufs­netz lie­gen, was für Geld im Geldbeu­tel ist. So ist also zu­mindest im Grund­satz eine pfennigge­naue Buchführung möglich, auch bei den größten Unterneh­men. Darauf haben die Aktionä­re einen Anspruch, und außer­dem ist es gesetzlich vor­geschrie­ben.

 

Allerdings gibt es Leute, die fühlen sich durch die pfen­nig­genaue Ab­rech­nung von großen Unter­neh­men an "Phan­ta­sy-Art" mit über­irdisch klarer Luft, über­großem Horizont und leicht über­triebe­nen Farben und Formen erinnert.

 

Auch in die Vergangen­heit hinein kann die Genauigkeit nicht unbe­grenzt hoch sein

 

Die Genauigkeit der buchhalterischen "Voraus­sagen in die Vergangen­heit" scheint tatsächlich nicht immer belie­big hoch zu sein, zumindest nicht in ei­nem be­grenzten Kosten­rahmen für diese "Vor­aus"­sagen. Wenn die Ver­gangenheit weit ge­nug entfernt ist, wird das jeder ein­sehen. Eine Abrech­nung für den Bau der Pyramiden oder der chine­si­schen Mauer - so etwas dürfte heute er­hebli­che Schwie­rigkei­ten machen, auch wenn im Prinzip jede damalige Ent­scheidung ihre Spu­ren auf der Erde, also "Dokumente" hin­ter­lassen hat. Für eine Vergangenheit, die uns näher ist, wird das aber oft noch nicht entspre­chend gesehen. Wo ist die Grenze?

 

Es gibt eine grundsätzliche Überlegung, warum die Buch­führung über die Vergan­genheit nicht beliebig genau sein kann: Alle Dokumente über die Ver­gan­gen­heit sind mate­rielle Gegen­stände: Geld, Quittungen, ge­schrie­bene oder gedruckte Ziffern auf Papier oder Folgen von Ja/­Nein-Impul­sen in einem Magnet­spei­cher.

 

 

Dokumente sind mate­rielle Gegenstände - und damit der mate­riel­len Unordnung aus­gelie­fert

 

o   Über­all, wo Materie im Spiel ist, überall, wo unter Umsatz von Ener­gie Dokumente erstellt, gesam­melt, gelagert, kopiert und aus­gewertet wer­den, da ist zumin­dest die materielle Ungenau­igkeit, ist Schwund, Schmutz und Unordnung im Spiel.

 

Geld und Quittungen können ver­lorenge­hen; der Verlust kann über­sehen werden; Quittungen können vernichtet oder gefälscht werden. Eine Ziffer kann so undeutlich geschrieben sein, daß sie mit einer ande­ren ver­wechselt werden kann. Ein Bit im Magnet­speicher kann sich durch einen winzigen elektromagnetischen Impuls umpolen. Auf vielfältige Weise kann Wissen verloren gehen - und je länger Doku­mente lagern, je öfter Wis­sen umge­setzt wird, desto wahr­scheinlicher ist das. "Irgend­wann ist jeder Daten­speicher leer" - das ist eine andere Form des Satzes, daß es kein Perpetuum mobile, also keine Ma­schine geben kann, die ewig ohne Reibung läuft. 

 

Winzige Fehler können sich bis zu erheblichen Fehlern überlagern

Wenn aber winzigste Fehler auftre­ten können, dann können sie sich auch überlagern zu winzi­gen Fehlern. Win­zige Fehler können sich gele­gentlich zu kleinen Fehlern, diese selten auch zu größe­ren und diese noch selte­ner zu erheb­li­chen Fehlern über­la­gern. Zwei Fehler kön­nen sich sogar zufällig gegenseitig in einer lokalen Bilanz kom­pen­sieren; erst in einem anderen Zusammen­hang können diese Fehler als Fehler wirksam werden. Der Zusammen­hang, in dem ein Fehler aufge­deckt wer­den kann, kann klein sein. Er kann aber auch größer sein; er kann im Extrem so groß sein, daß der Fehler ohne enormen Aufwand nie mehr aufgedeckt werden kann.

 

Jede Wissenschaft hat ihre Fehlertheorie ...

 

Es gibt also Erfahrun­gen mit Fehlern in der Buch­füh­rung, ähnlich wie mit Fehlern bei Kostenschät­zungen oder bei naturwissenschaftlichen Messungen. Und es gibt auch Erfah­run­gen mit der Suche nach Fehlern und der Steige­rung der Genauigkeit von Buch­führung, ähnlich wie es Erfah­run­gen gibt mit der Fehlerbewältigung in anderen Berei­chen. Es gib auch Erfah­rungen mit den Zeit­kosten des Kampfes um die Genau­igkeit; es gibt das Stöh­nen über die Schwierigkeiten, Bilan­zen stim­mig zu ma­chen.

 

... auch Buchfüh­rung

 

Vielleicht könnte tatsächlich etwas von der Kosten­schät­zung für die Buchführung gelernt werden? Viel­leicht könnte das Stöhnen durch bewußte, syste­ma­tisch unter­mauerte Ungenauigkeit ersetzt werden, ähn­lich wie wir es vorhin für die Kosten­schätzung skiz­ziert haben? Könn­te vielleicht auch in der Buchführung insgesamt eine höhere Genau­igkeit erreicht werden, wenn man sich auf ein theoreti­sches Modell stützt, das die Begren­zung der Genauigkeit in einem größe­ren Rahmen begrün­den kann, wie es auch in den Naturwissenschaften üblich ist?

 

Suchen wir nach den wesentlichen Unter­schieden und Gemein­samkeiten zwischen Kosten­schät­zung und Buch­führung:

 

 

Kostenschätzung:

Buchfüh­rung:

 

 

 

 

- Zukunft

- Vergangenheit

 

- Voraussage

- Bilanz

 

- keine Dokumente

- unvollständig­e Do­ku­men­te

 

- Schätzgenauigkeit

- Buchfüh­rungsge­nau­igkeit

 

 

 

 

Buchführung

als Ko­stenschätzung

in die Vergangenheit?

 

Kostenschätzung und Buchführung unterliegen beide als physi­kalische Vorgänge den Gesetzmäßigkeiten der Physik, insbesondere den Gesetzen von der Erhaltung und gleichzeitig Zerstreuung der Energie. Aus diesen physika­lischen Rahmenbedingungen müßte sich letztlich die Theorie der Fehler in Kostenschätzung und Buchführung herleiten.

 

Wenn es der wesentliche Unterschied ist zwischen Ko­sten­schät­zung und Buchführung, daß die eine in die Zukunft schaut, die andere in die Vergangenheit, dann müßten sich ähnliche Grundzüge herausstellen, wie sich wohl bei näherer Betrachtung zwischen Ge­schichtsschrei­bung und Zu­kunftsforschung Ähnlichkeiten aufspüren lassen. Lücken in den Dokumenten über die Vergangen­heit dürften mit ähnlichen Methoden über­brückt wer­den wie das Fehlen von Dokumenten über die Zukunft. Al­lerdings dürfte die prinzipiell erreichbare Genauigkeit bei der Erforschung der Vergangen­heit durch Buchführung oder Ge­schichts­schreibung um mindestens eine Größen­ordnung höher liegen als die Genauigkeit der Erforschung von Zukunft durch Kosten­schätzung oder Science fiction, die ohne Doku­mente auskommen müssen. 

 

 

 

3.  Genaue Buchführung

     als Vorbeugung gegen Schma­rot­zer

 

 

 

"Ganz schön und gut", könnte man einwenden - "Buch­füh­rung ist aber doch keine reine Wissenschaft, nicht nur Modell­bau über Erkanntes. Sich zu mokie­ren über pfen­nig­ge­naue Abrech­nung bei großen Summen geht am Wesen der Buchfüh­rung vorbei. Buch­füh­rung hat nämlich auch eine pragma­tische Seite, und die ist die eigentliche Grundlage dafür, daß es sie überhaupt gibt. Von daher muß auch die Frage nach der Genau­igkeit beantwortet werden".

 

 

Buchführung "dichtet Lecks" ...

 

 

 

 

Buch­füh­rung ist also auch mit dem ständig erneuerten Dich­ten eines Schiff gegen Lecks zu vergleichen, in dem nicht nur der Buch­halter, sondern die ganze Ge­sellschaft sitzt. Es käme tatsächlich nicht auf den einzel­nen Pfen­nig an, ge­nausowenig wie auf ein paar ins Schiff eindringen­de Wasser­trop­fen. Aber jeder Pfennigfehler ist mit einem kleinen Riß in der Schiffswand vergleichbar. Und wenn man kleine Risse zuläßt, dann kön­nen die sich ausweiten und schließlich zu größe­ren Rissen führen - es bleibt nicht bei Tropfen - zum Schluß geht das Schiff unter. Wenn auf die Pfennig­genauigkeit der Buchfüh­rung ver­zichtet würde, dann würden sich in kürze­ster Zeit die Gauner, auch unter den Buch­haltern selber, be­die­nen. Es kam doch schon vor, daß Bankbuchhalter sich per Software aus den Pfen­nig-Bruchteilen berei­chert haben, die der Computer bei der Berechnung auf- bzw. abrun­det! Auf dem Papier war der Fehler nicht zu merken, ähn­lich wie bei einer raffi­nierten optischen Täu­schung. Aber im Com­puter, da wur­den win­zigste Beträge abge­zweigt und gesammelt und über­wiesen; in der Sum­me ging es um spür­bare Geldbeträge - das ist der Para­de­fall von Schma­rot­zertum. Wenn man - in einem ande­ren Bei­spiel - auf die Fahr­schein­kontrollen verzich­ten würde, dann würden sehr bald fast alle Leute schwarzfah­ren.

 

 

... und beugt gegen Schmarotzer vor

o   Die größtmögliche Genauigkeit in der Buchführung ist also Vorbeugung gegen Schma­rotzer.

 

Das heißt: Wer nur mit der Lupe die scheinbare Ab­surdität der Pfen­nigsuche betrachtet, wird der Funk­tion der Buchführungs-Genau­igkeit im größeren Rah­men nicht gerecht. Wenn Buchführungs-Genauigkeit gelockert würde, würden sich die Schmarotzer lawi­nenartig ver­mehren; das ist die jahrtau­send­ealte Er­fahrung. Die Kosten für die Er­mittlung eines Pfennig­fehlers spielen gar kei­ne Rolle ge­genüber den Kosten, die entstehen würden, wenn sich irgendwo ein Gau­ner, und dann schließlich alle Gauner darauf verlas­sen könnten, daß der Pfen­nig­fehler nicht aufge­stöbert wird. "Wer dem Teufel den kleinen Fin­ger gibt, dem nimmt er die ganze Hand."

 

Vorbeugung ist billiger als Schadensbeseitigung

 

Und selbst die leicht sadisti­sche Komponente beim Kon­trollieren der Buch­füh­rung, etwa durch das Finanzamt, könnte - im pragmatischen Rah­men betrachtet - ihren Sinn haben. Die Verteilung der Kon­trolle auf meh­rere Leute kann als "Gewal­tenteilung" im Kleinen be­trachtet wer­den. Der Bezahler der Rech­nung kontrolliert den beauf­tragten Ko­sten­schätzer, das Fi­nanz­amt den Buchhal­ter, ähnlich wie der Architekt den Maurer, der Kapitän den Steu­er­mann. Das kleine Leid, das durch die Kon­trolle erzeugt wird, ver­schwindet gegen­über dem großen Leid, das durch diese Kontrolle bei allen, letztlich auch den Buchhal­tern, ver­hindert wird. Die Brandmauer kostet we­ni­ger als das ganze Wohn­haus; die ständige, mühseli­ge Dichtung der Lecks kostet weni­ger als der Untergang des ganzen Schiffs; die Vorbeugung gegen Infektion mit Krankheitskeimen durch präzise Hygiene kostet weniger als das Kurieren der Krankheit. Wir haben also ein starkes, gerade­zu medizini­sches Argument für eine sehr genaue Buch­füh­rung.

 

Da aber auch die Hygiene, die gegen Schmarotzer eingesetzt wird, Kosten verursacht, würden durch den Gesichts­punkt der vorbeugenden Hygiene gegen Schma­rotzer die Gren­zen der optimalen Genauigkeit zwar weit an die maximale Genauigkeit heranrücken, aber nicht unbedingt völlig damit zusammenfallen.

 

 

o   Wenn auch im medizini­schen Bereich die maximale Hygie­ne nicht gleich­zeitig die optimale Hygiene ist, dann auch nicht im Bereich der Buchführung.

 

Aber: Auch Hygiene ist nicht umsonst; das Maximum ist nicht das Optimum

 

So­gar das Fi­nanz­amt läßt den Steuer­zahler zu seinen Gun­sten auf ganze Mark auf- bzw. abrunden, um Re­chen­auf­wand ein­zuspa­ren. Das geht, wenn der Ge­samt­fehler, der durch das Auf- oder Abrun­den ent­steht, in Gren­zen bleibt, wie bei einer Steuererklä­rung, die nur eine be­grenz­te Reihe von Posten enthält. Es geht in ande­ren Gebie­ten nicht ohne weiteres, nämlich wenn eine sol­che Regelung eine un­absehbar lange Kette von betrü­gerischen Auf- bzw. Abrundungen mög­lich machen würde und damit den Schmarotzern entgegenkommen würde.

 

Wo aber Buchführungs-Genauigkeit im einzelnen die Grenzen des Sinnvollen findet, wo auch die Durch­schnitts­werte als Grundla­ge von Schät­zungen liegen, das müßte sich aus einer ausgearbeite­ten Theorie der Kosten der Ge­nauigkeit und der Verluste und Risiken durch Ungenau­igkeit erge­ben, die auch die hygienische Funktion der Buchfüh­rungs-Genau­igkeit einbezieht.

 

 

 

4. Ungenaue Buchführung -

aber auf präziser Grundlage

 

 

Vielleicht einmal Wahl­möglichkeit ...

 

 

 

 

Auf einer solchen wissenschaftlichen Grundlage müßte es sogar möglich sein, eine Wahlmög­lich­keit einzuführen: Hohe Buch­führungs­genau­igkeit könnte be­lohnt werden; geringere Genauigkeit könnte akzeptiert, aber mit einem Malus versehen wer­den, ähnlich wie sofortige Zahlung mit einem Rabatt belohnt werden kann. So etwas ist schon jetzt dadurch vorgezeich­net, daß man, wenn man keine Buch­führung vorweist, vom Finanzamt einfach nach Erfah­rungswerten einge­schätzt wird. Das könnte zum Prinzip verallgemeinert werden:

 

 

o   Es könnte eine ganze Skala von zulässigen Buchfüh­rungs-Ge­nauigkeiten geben.

 

... unter mehreren Buch­füh­rungs-Genau­ig­keiten? ...

 

 

Wer genau abrechnen will - bittesehr; damit kann er den maximalen Genau­igkeits-Bonus haben. Wer weni­ger genau abrech­nen will, der muß sich den er­gän­zenden Schätzun­gen stellen, und verliert damit Punkte - aber vielleicht freiwillig, denn er möchte sich den Ärger mit Buchführung in Grenzen halten. Es gibt ja auch Minia­turenmaler und Freskenmaler, und beide können gleich gut sein. Auf jeder Stufe der Buch­füh­rungs-Ge­nauigkeit könnte das Einver­nehmen zwischen den Part­nern, etwa zwischen Finanzamt und Unterneh­men, herge­stellt werden.

 

 

... also auch Platz

für systematisches Schlam­pen?

o   Auch in der Buchführung könnte mit System und im besten Einver­nehmen mit Vater Staat geschlampt werden - allerdings nicht ganz kostenlos und deshalb bestimmt nicht grenzenlos ...