Wolfgang Tomášek

 

 

 

Ist Krieg ein Naturgesetz?

 

Öko-Text

 

5

 

Stand 5.9.2001 (1990)

 

 

 

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1.   Lebende Sy­steme in einer begrenzten Um­welt:

     Wachstum und Konkurrenz; Grenzsicherung und Infil­tration

 

 

 

2.  Angriff und Verteidigung; physische Kon­flikte mit Exi­stenzrisiko

 

 

 

3.  Grundmuster der Argumenta­tion und Suche nach Alter­nati­ven

 

3.1. Offene Öko­sphäre

 

3.2. Zufalls­freie Bereiche

 

3.3. Umbau des Zeitbe­griffs

 

 

 

4.   Zusammenfas­sung

 

 

 

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Krieg als "Naturge­setz"?

 

"Der Krieg ist der Vater aller Dinge" sagte Heraklit, "Krieg ist kein Natur­gesetz" dagegen Gustav Heine­mann. Wer hat recht? Ist Krieg ein "Naturgesetz" oder nicht? Hier soll versucht werden, diese Frage mit all­gemeinen ökolo­gischen Überle­gungen zu bear­beiten.

 

 

 

 

1.  Lebende Sy­steme in einer begrenzten Um­welt:

     Wachstum und Konkurrenz;

     Grenzsicherung und Infil­tration

 

 

Lebende Sy­ste­me

set­zen Energie um -

in einer begrenzten

Um­welt

 

 

 

 

Nehmen wir an, daß ein Lebewe­sen, allgemein ein >lebendes >System, unter anderem dadurch definiert ist, daß es >Energie benötigt, um seine innere Ordnung zu er­halten und an seine Nachkommen zu vererben. Neh­men wir weiter als äußere Rah­menbedingung an, daß der Energie­strom, den die Erde von der Sonne erhält, sehr groß, aber nicht un­endlich groß ist und daß er auch nicht wächst, sondern im wesentlichen gleich­bleibt. Nehmen wir zu­gleich an, daß die Erde nicht wächst und ihre Stoffvorräte begrenzt sind.

 

 

Bauen wir unser Gedankenmodell weiter: Nehmen wir an, daß sich zunächst alle Lebewesen in gleichblei­bendem Umfang aus dem glei­chen Ener­giestrom er­näh­ren, daß keines die anderen überflügeln, kei­nes den ande­ren Energie und Stoffe wegnehmen will, jedes also "red­lich bei dem seinen bleibt".

 

"Mutationen" in Bau­plan oder Pro­gramm

 

Schon jetzt könnte man zwi­schenfragen: Wie konnte überhaupt eine solche aus­gewogene Welt von Lebe­we­sen entstehen, wenn vorher kein Le­ben vorhanden war; irgendwann mußte doch die gleichmäßige Welt aus einer ungleichmäßige­ren Welt gewach­sen sein? - Las­sen wir zunächst diese Frage of­fen und stellen wir uns vor, was passieren würde, wenn zufällig eine kleine Än­derung - eine >"Mutation" im Bauplan oder Programm eines die­ser "friedli­chen, redlichen, beschei­denen" Lebewesen auf­treten würde, so daß es nicht mehr mit seinem gleich­bleibenden Anteil aus dem Energiestrom zufrieden ist. Dieses Lebewesen würde nicht nur seinen Bestand erhalten oder sich in gleichbleibender Zahl fortpflanzen, sondern würde wachsen oder sich vermehren, und seine Spröß­linge oder Nach­kommen ebenfalls und so fort. Die anderen Lebewe­sen würden gleichbleiben; das wachs­tums- und vermeh­rungs­bereite Lebewe­sen würde sie überflügeln und schließ­lich ganz von den Energie- und Stoff­quel­len verdrängen.

 

lebende Systeme

auf Wachstum oder Ver­meh­rung hin angelegt

 

 

 

Das heißt: Eine Welt aus Lebe­we­sen, die alle einen gleich­bleiben­den Teil aus einem Ener­giestrom entneh­men, wäre nicht stabil, wenn nur eine gele­gentliche, zufällige, klei­ne Änderung in Richtung auf Wachstums­fä­hig­keit angenommen werden könnte. Durch eine ein­zige  wachs­tums- oder  vermeh­r­ungsfä­hige und  -willige Mutante würde die vorher gleich­­mäßige Welt in ein neu­es >Gleich­gewicht gekippt. Dies ist auch das Argument dafür, daß eine solche gleichmä­ßige Welt gar nicht erst hätte ent­stehen können. In der Tat gibt es keine Art von Lebewe­sen auf der Erde, die auf Wachs­tums- oder Ver­meh­­rungsbe­reit­schaft verzich­tet, die also darauf ver­zich­tet, Lebensmög­lichkei­ten, die sich ihr auftun, durch ein Mehr­faches an Spröß­lingen oder Nach­kommen zu beset­zen - keine einzige! Alle sind auf Wachs­tum oder Ver­meh­rung hin ange­legt, ob Mikroor­ganismen, Pflanzen, Tiere oder Menschen. Sie alle wür­den sich, wenn sie nicht von ihrer >Umwelt, vor al­lem durch Nah­rungs­mangel dar­an gehindert würden, über alle Grenzen vermeh­ren. Nur weil die Erde begrenzt ist und weil alle ande­ren Lebewesen die gleiche Ten­denz haben, ver­mehrt sich keine Art Lebewesen auf Dauer, son­dern höchstens in begrenz­ten Zeiträu­men, die dann wieder in Zeiten eines gleichblei­benden oder um einen Mittelwert pen­delnden Bestan­des einmünden. Da für die bis­herige Argumen­tation nur Ener­gie- und Stoff­be­darf in begrenzter Um­welt, außerdem kleine Mutatio­nen an­genommen wur­den, läßt sich das bisher Gesagte auf alle lebenden Systeme verallgemei­nern, etwa auch auf Systeme, die selbst aus Lebe­wesen zusammen­ge­setzt sind, oder aus Lebewe­sen und >techni­schen Syste­men gleich­zeitig.

 

grundsätzli­che Konkur­renz

in einem begrenz­ten

Energie­strom

 

Wenn jede Art von lebenden Systemen auf Wachstum oder Vermeh­rung hin angelegt ist, der nährende Ener­giestrom und die Stoffvorrä­te aber begrenzt sind, so ist grundsätzlich eine >Konkurrenz zwischen den leben­den Wesen gegeben. Der Anteil am Ener­giestrom, den jedes einzelne der Systeme für sich und seine Nach­kommen be­ansprucht, käme als Lebensgrund­lage für minde­stens ein anderes System in Frage. Dieses würde die Chancen für sich und seine eigenen Nachkom­men steigern, wenn es sich auch in diesen Anteil des Energie­stroms hinein ausbreiten könn­te. Umge­kehrt: Jedes lebende System beschnei­det durch seine bloße Existenz die Überle­bens-, Wachstums- und Fort­pflan­zungs­chan­cen zumin­dest der Nach­kommen eines anderen lebenden Systems. Schon in so allgemei­ner Betrachtung ist das Leben doppelge­sich­tig, "ambivalent"; zugespitzt aus­gedrückt: "Leben ist Kindermord". Das gilt schon für die "fried­lichen" Pflan­zen. Unter jedem Baum verkümmern und verdorren andere Pflanzen - sogar Säm­­lin­ge, die er sel­ber ausge­streut hat. Ohne den Blick auf die grund­sätzliche Kon­kurrenz, die eingebaut ist in das Leben auf einem be­grenzten Planeten, all­gemein in einer begrenz­ten ">Öko­sphä­re" (einem Raum, in dem lebende Systeme existie­ren kön­nen), wäre die Dis­kus­sion um Krieg von vor­ne­herein schief.

 

Grenzsicherung

 

 

 

Bisher haben wir noch eine Welt aus lebenden Syste­men ange­nom­men, die in "friedlichem Wettbewerb" mit­einander leben. Keines kümmert sich um das an­dere; alle wach­sen eifrig nach außen und innen vor sich hin; bisweilen über­wuchert und ver­drängt eines ein anderes. Nehmen wir nun wieder eine Mutation an, nämlich ein lebendes System, das entdeckt, daß es das Wachstum seiner Konkur­renten aktiv bremsen oder aufhal­ten kann, etwa durch die Sicherung der Grenzen ei­nes >Territori­ums. In diesem Territorium wür­de es den ver­fügbaren Ener­gie­strom für sich selbst be­anspruchen und die Konkurrenten daran hindern, sich in den gleichen Ener­giestrom hinein auszubreiten. Ein solches Sy­stem müßte ver­mutlich für eine solche Leistung der Grenzsiche­rung eine höhere >Komplexität, also mehr innere Bezie­hun­gen besitzen als ein System, das nur wachsen oder sich vermeh­ren kann. Jedes Sy­stem, das aber eine für die Sicherung von Grenzen ausrei­chende Komple­xität besitzt, müßte diese Mög­lichkeit nutzen, weil es sonst gegen­über seinen Kon­kur­renten benachteiligt wäre und auf Dauer seine Exi­stenz gefährden würde.

 

Infiltration

 

Umgekehrt müßte ein System Überlebens- und Fort­pflan­zungs­vorteile gewin­nen können, das Wege findet, die Grenzen der Ter­rito­rien seiner Konkurrenten den­noch zu durchbre­chen und sich dorthinein - etwa durch >Infil­tration in kleinen Schritten - auszu­breiten - soweit der Energie­ge­winn dabei grö­ßer ist als die Energie­kosten. Auch diese Fä­higkeit müßte sich also aus­brei­ten, ähnlich wie die Fähig­keiten zu Wachs­tum und zu Grenzsiche­rung.

 

 Symmetriebrüche

 

Daß allerdings zwei oder mehre­re konkurrieren­de Sy­ste­me ihre Fä­hig­­keiten zu Grenzsiche­rung und Infil­tration sym­metrisch ent­wickeln, ist unwahrschein­l­ich. Wenn eines der Systeme in irgend­einem Bereich (räumlich, aber auch allgemein gedacht) eine zu­fällige Schwä­che zeigt, dürfte ein Konkur­rent am ehesten gera­de diese Schwachstelle bei der Infil­tration nutzen. Umge­kehrt dürfte sich im allge­meinen nicht gerade ein durch Infiltra­tion des Kon­kur­renten bela­steter, sondern ein relativ ungestörter Bereich so entwickeln können, daß von dort aus in­filtriert werden kann. Asym­met­rien zwischen Schwä­chen und Stär­ken dürf­ten sich also zumindest teilweise gegen­seitig aufschau­keln. Außer­dem würde ein leben­des System, das etwa bei der Grenzsi­che­rung eine besondere Stärke ent­wi­ckelt hat, im allgemeinen nicht gleichzei­tig die Infil­tra­tion zu be­sonde­rer Stärke entwi­keln, da damit der Wir­kungs­grad des Ener­gie-Einsat­zes auf beiden konkur­rierenden Gebieten ge­senkt würde.

 

 

 

2.  Angriff und Verteidigung;

     physische Kon­flikte mit Exi­stenzrisiko

 

 

Bekämpfung

der Kon­kur­­renten

und Verteidi­gung

 

 

 

Was hier zur Grenzsiche­rung gegen Wachstum und Vermehrung der Konkur­ren­ten, umgekehrt zur Infiltra­tion in deren Terri­torium und damit in deren Energiestrom ge­sagt wurde, müßte sich auf einer höheren Stu­fe der Kom­ple­xität in ähn­licher Weise darstellen las­sen: Nehmen wir wieder eine Mu­tation an, näm­lich ein leben­des Sy­stem, das seine Konkurren­ten durch sein Verhalten unmit­telbar bekämpfen kann, das also ihre Überlebens- und Ver­meh­rungschancen durch unmittel­bare Einwirkung, nicht nur durch Grenzsicherung, vermindern kann. Auch damit wür­de es seinen eige­nen Anteil am gemeinsamen En­er­gie­strom ver­größern. Wenn die damit ver­bundenen Ener­giekosten gerin­ger sind als der damit verbun­dene Ener­giege­winn, dann hätte eine solches System vergrö­ßerte Über­le­bens- und Ver­mehrungschan­cen; eine Anlage für ein derar­tiges Verhalten würde sich also so lange aus­brei­ten, bis im Grundsatz alle lebenden Syste­me einer Mindest­komplexität eine gewis­se Bereit­schaft zur Be­kämp­fung der Konkur­renten besitzen, ähn­lich wie die Bereit­schaft zu Wachstum, Ver­meh­rung, Grenz­siche­rung und In­filtration. Ähn­liches würde für die Bereit­schaft zur Ver­teidi­gung gelten, also für ein Verhalten, das wiederum feind­liches Ver­halten der Kon­kur­renten in seiner Wirk­sam­keit aufheben soll.

 

"Aufrüstung"

bei unter­schiedlichen

Grund­stra­tegien

 

Insgesamt würde sich eine Ten­denz zu einer Art "Auf­rü­stung" erge­ben, bis die lebenden Systeme einer be­stimmten Mindestkomple­xi­­tät einen ge­wis­sen Prozent­satz ihrer ge­samten Lebens­energie für die Bekämp­fung ihrer Kon­kurrenten und für die Vertei­digung auf­wen­den. Wie hoch dieser Prozent­satz und welcher Art das ent­spre­chende Verhalten im Einzelfall ist, hinge vom Energie­haus­halt in der jeweili­gen Situation ab; es wäre denkbar, daß bestimmte leben­de Systeme auch höherer Komple­xität im Extrem­fall auf Bekämp­fung der Konkur­renten oder auch auf Verteidigung weitgehend ver­zichten, wenn die >Strategie lohnender ist, die gesamte Le­bensen­ergie für anderes, zum Beispiel für Wachstum oder Vermeh­rung auf­zuwenden. Der allge­meine Fall wäre eine Mi­schung, bei der Wachstum und Vermeh­rung, Grenz­siche­rung und Infiltra­tion, Bekämp­fung der Kon­kur­renten und Ver­teidi­gung im Wechsel oder in Kom­bination ein­gesetzt wer­den. Die Grenzen der Kom­binationsmög­lich­keit wären durch die Grund­strate­gie des betreffen­den lebenden Systems abge­steckt und die Entstehung unter­schiedli­cher Grund­stra­tegien wäre ana­log zu denken wie die Entste­hung der Asym­me­trie bei Grenzsi­che­rung und Infiltra­tion. Jede der auf der jeweili­gen Stufe der Kom­plexität mög­lichen Ver­hal­tens­formen ge­genüber den Kon­kurrenten würde jedoch von min­de­stens einem der in einem Konkurrenz­feld betei­lig­ten Sy­steme abge­deckt. Unwahr­scheinlich wäre, daß etwa die "böse" Muta­tion aktiv feindseligen Verhaltens ge­genüber Konkur­ren­ten - die ihrem Trä­ger dann auch Über­le­bens- und Ver­meh­rungs­vor­teile bringt - auf Dauer nicht auftritt.

 

Symbiose

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

umfassende Symbiose

nicht stabil

 

Die grund­sätz­liche "Aufrüstung" zwischen den lebenden Syste­men in einem begrenzten Ener­giestrom wäre nicht aufgehoben, wenn man annimmt, daß leben­de Systeme mit anderen le­benden Sy­ste­men oder auch mit techni­schen Sy­stemen zusammen­ar­beiten, um zu wachsen, sich zu vermehren, Kon­kurrenten zu be­kämpfen oder sich zu vertei­digen. Solange die Ener­gie­ko­sten für eine solche Zusammen­arbeit oder ">Symbiose" bei den Lebensabläu­fen geringer sind als die Energie­einspa­rung, würde sich die Bereitschaft zu solcher Sym­biose durch­set­zen. Da aber alle Lebewesen und alle techni­schen Systeme, mit denen ein Lebewesen in Symbiose leben kann, selbst Energie verbrau­chen, müßten sie im Prinzip dann eben­falls zu Kon­kurrenten wer­den, wenn der Sym­biosezweck wegfällt, etwa wenn der gemein­same Kon­kurrent, gegen den sich die Zusammen­ar­beit gelohnt hat, ausgeschal­tet ist. Auch das Auftreten von Zusam­menar­beit und Symbio­se würde die grundsätz­liche Kon­kurrenz­situa­tion im begrenz­ten Energiestrom  nicht beseiti­gen; sie würde nur stabile >Am­bivalenz erzeu­gen. Eine all­gemein friedli­che Zusam­men­ar­beit aller le­benden Sy­ste­me, eine umfas­sende Symbiose, wäre so wenig stabil wie eine Welt ohne Wachs­tums­bereit­schaft.

 

Angriff aus Notwehr

 

Nehmen wir nun zwei konkurrie­rende lebende Systeme an, von denen eines eine größere Wachs­tums- bzw. In­filtrationsfä­higkeit hat als das andere, die aber in allen sonstigen Außen­beziehungen gleich sind. Über kurz oder lang würde das unterlegene Sy­stem aus dem Energie­strom gedrängt und ausgehungert werden. Vorher käme es aber vor die Entschei­dung, sich aus­hungern zu las­sen oder zu ver­suchen, durch einen rechtzei­tigen Angriff auf das in Wachstum oder Infil­tra­tion überlegene Sy­stem seine eige­nen Überlebens­chancen zu ver­bes­sern, eventu­ell sogar den existenz­bedro­henden Konkur­renten zu ver­nichten. Im all­gemei­nen würde es das Letztere, also eine Art "Notwehr" wählen - oder eben aus­gehun­gert werden und damit seine Chance verlie­ren, seine - friedlichen - Anlagen an seine Nachkom­men wei­ter­zugeben. Wenn aber lebende Systeme zu Wachs­tum oder Ver­meh­rung bereit sind und Systeme einer bestimmten Mindestkom­ple­xi­tät zu einem Angriff auf ein kon­kurrie­rendes System - dann müßte ein sol­cher Angriff eines lebenden Systems auf ein anderes aus Übe­rlebens­zwängen heraus auch dann immer wieder eintreten, wenn sich das wachs­tums- und infil­trations­stärkere System nicht aggressiv ver­hält.

 

physische Konflikte

mit Existenzrisiko:

Kämpfe und Kriege

 

 

 

Diese Überlegungen gelten für alle lebenden Systeme über einer be­stimmten Min­destkomplexität; sie bilden den Rahmen einer ökologi­schen Erklärung für das Auftreten von Kämpfen und >Kriegen, allge­mein den >physi­schen Austrag von >Kon­flikten zwi­schen konkur­rierenden leben­den Syste­men, die das Risiko der Exi­stenz­ver­nichtung für eines der Syste­me in sich tra­gen.

 

Energiestau

für einen Angriff;

 

Rhythmus

des Konfliktaustrags

 

Ein durch Wachs­tum und Infil­tration seines Konkurren­ten in seiner Existenz bedrohtes leben­des System würde im allgemeinen wohl nicht dau­ernd angreifen, sondern zu­nächst >Ressourcen, ins­besondere Ener­gie sammeln, um dann plötzlich und überraschend mit höchst­mög­li­chem Wirkungs­grad loszuschla­gen. Es wür­de spätestens dann angrei­fen, wenn die Energie, die ihm durch das wachs­tums- und infiltrations­stärkere Sy­stem entzogen wird, größer ist als die Energie, die es in der glei­chen Zeit für einen An­griff sammeln könnte. Wenn man eine endli­che Ge­schwindig­keit für Wachstum und Infiltration, gleich­zeitig für die Vorbereitung eines Angriffs annimmt, müßte dieser Mechanis­mus der Energie­sammlung und -entladung zu einem mehr oder weniger rhythmi­schen Auftreten von physischem Konflikt­austrag zwischen konkur­rie­ren­den leben­den Systemen führen.

 

Patt aus Erschöpfung

nicht stabil

 

 

 

War­um kann nicht der Fall ange­nommen wer­den, daß lebende Sy­steme keine oder kaum Energie speichern kön­nen, weil sie alle aufgenom­mene Energie sogleich umset­zen müssen, um in ihrer Umwelt zu über­leben? Dann wäre auch kein Energievor­rat für einen Angriff anzusam­meln. Ein sol­cher Fall wäre eventuell in einem Bereich nahe einem >dynami­schen Gleichge­wicht der gesam­ten Ökosphäre denkbar (einem rela­tiven ">Kli­max­stadium" der >Evolution). In einem solchen Bereich wür­den klei­ne, zufäl­lige Ver­änderun­gen an ir­gend­einer Stelle na­hezu nie zu einer Selbstver­stärkung führen, sondern fast stets zu einer Selbst­bremsung. Praktisch jede An­samm­lung von Energie würde dann Ein­flüsse aus der lokalen Umwelt bewirken, die dahin wir­ken, die Ansamm­lung wieder auf­zulösen. Ein solcher Gleich­ge­wichtszustand wäre einem ">Patt" zu ver­gleichen. In allen Bereichen außerhalb des dynamischen Gleichge­wichts wäre es dagegen un­wahrschein­lich, daß kei­nerlei An­sammlung von Ener­gie statt­findet und ein ent­­sprechen­des Patt entsteht. Jede minimale Verzögerung im Fluß der Energie durch ein >dyna­mi­sches System würde lokale Ansammlungen von Energie schaf­fen. Syste­me, die so organi­siert sind, sol­che zunächst kleinen, zufäl­ligen Energiean­sammlungen nut­zen zu kön­nen, um ihre Umwelt zeitlich konzen­trier­ter, durch­schla­gender, damit letztlich energiespar­sa­mer zu verän­dern, müßten Über­lebensv­or­teile haben ge­genüber anderen Sy­stemen, die diese Energie­an­sammlungen nicht nutzen können. Es wird sich also die Fähig­keit, Energie zu sammeln, um sie bei Bedarf im Kampf oder auch zu sonstigen Lei­stungen in der Umwelt kon­zentriert ein­setzen zu kön­nen, im Lauf der Zeit heraus­bil­den. Ein Patt aus Mangel an Energie zum Los­schla­gen, ein "Patt aus Er­schöp­fung" wäre nicht auf Dauer stabil.

 

defensives Patt

nicht stabil

 

Man könnte auch fragen, ob nicht an irgendeinem Punkt der Ent­wicklung die Verteidigung endgültig stär­ker werden könn­te als der An­griff, so daß zwar nicht die Bereit­schaft, jedoch die Wahr­scheinlichkeit zu physi­schem Konfliktaustrag verschwindet. Ein solches "de­fensives Patt" würde vorausset­zen, daß die Ent­wicklung der Verteidigungs­systeme der Ent­wicklung der Angriffs­systeme irgend­wann ein­mal "entkommen" könn­te. Wenn aber beide Ent­wick­lungen von Existenzzwän­gen getragen sind und echter Luxus auch hier unwahrscheinlich ist, dann müßte der Abstand zwi­schen beiden stets gering sein. Systeme mit luxuriöser Verteidigung müßten ander­wei­tig, zum Beispiel bei der Wachstumsfähig­keit, Kon­kur­renz­nachteile und damit Exi­stenzrisiken heraus­fordern. Selbst wenn man voraussetzt, daß auf einer be­stimmten Stufe der Kom­plexität in einem Konkur­renzfeld die Verteidigungs­systeme eindeu­tig stärker sind als die An­griffssysteme, so könnte dies schon auf der nächsten Stufe der Komplexität anders aussehen. Daß aber die Entwicklung zur näch­sten Stufe der Komplexität unter­lassen wird, wäre erst im (relativen) Klimax­stadium der Evolution wahrscheinlich. Ein defensi­ves Patt wäre also auf Dauer so wenig stabil wie ein Patt aus Erschöpfung. Und ähnlich wie die Fähigkei­ten zu Grenzsicherung und Infiltration in einem Konkur­renzfeld eher asymmetrisch als symme­trisch verteilt zu er­warten wären, so auch die Fähig­keiten zu An­griff und Ver­teidi­gung. Ein Konkurrenz­feld würde sich in defensi­vere  und aggressivere Syste­me polari­sieren.  Hierbei  dürften die wachstums- und infiltrati­ons­schwäche­ren Sy­steme im allge­mei­nen mehr zur >Ag­gressivität nei­gen als die wachstums- und infiltra­tions­stärke­ren, weil sie eher darauf angewiesen wä­ren, um ihre Existenz zu er­halten.

 

Bluff begründet kein stabiles Patt

 

Man könnte schließlich fra­gen, ob nicht lebende Sy­steme nur den Eindruck von Konflikt­be­reitschaft auf­rechter­hal­ten, jedoch die tat­sächli­che Fähig­keit und Bereit­schaft zum phy­sischen Kon­flik­taus­trag abbauen könnten - sich also auf Bluff verlegen könnten. Aber auch das wäre auf Dauer nicht geeignet, den physi­schen Aus­trag von Kon­flikten zu ver­hindern, da eine kleine Mutation beim Kon­kurren­ten in Richtung zu einer höheren Aggressivität schließlich den Bluff ent­larven und das bluffen­de System in seiner Existenz gefährden würde. Bluff könnte sich deshalb nur ent­weder zeit­weise oder in Teil­bereichen ausbreiten.

 

 

 

3.  Grundmuster der Argumenta­tion

     und Suche nach Alter­nati­ven

 

 

zugrundeglegtes

Grund­muster ...

 

 

 

Die bisherige Argumentation zeigt ein be­stimmtes Grund­muster: Leben­de Systeme konkur­rieren in einem be­grenz­ten Ener­giestrom. Eines der Systeme ge­langt durch eine zufällige kleine Änderung, eine Mutation, zu einer neuen Ei­genschaft, die für die Bezie­hung zu den Kon­kurrenten von Bedeutung ist (bisher erwähnt wur­den die Fä­hig­keiten zu Wachstum und Vermehrung, Grenzsiche­rung, Infil­tration, Angriff und Ver­teidigung). Sol­che Eigenschaf­ten erhöhen die  Wahrschein­lich­keit, im Konkur­renz­feld auf Dauer zu über­leben; Syste­me mit solchen Ei­genschaften wer­den sich gegen­über sonst glei­chen Konkur­ren­ten durchsetzen, sie eventuell völlig verdrän­gen. Nachdem einmal eine sol­che Eigenschaft aufgetreten ist, ist ihre Rück­bildung überlebensgefährdend und damit unwahr­schein­lich. Da immer wieder neue, für die Konkur­renz be­deutsame Muta­tionen auftre­ten, solange die Evolution noch zu keinem dyna­mischen Gleich­ge­wicht gelangt ist, werden re­la­ti­ve Pattsi­tua­tionen immer wieder aufs neue durch­brochen. Immer wieder kommt auf höhe­rer Stufe der Komple­xität für die beteilig­ten Systeme einer­seits die "To­talprämie" der Vernich­tung des Konkurren­ten ins Spiel, anderer­seits das Risi­ko, selbst ver­nichtet zu wer­den.

 

... evolutionsinvariant

 

Weil dieses Grundmuster der Argumentation oberhalb einer Mindestkomplexität von der Komple­xität der be­treffenden Sy­steme und den spe­ziel­len kon­kurrenzbedeut­samen Eigen­schaften unab­hän­gig ist, müß­te man es auch auf Stufen be­liebig höhe­rer Kom­plexität an­wenden kön­nen; es wäre ">evolu­tions­invariant". Eigenschaften und Strukturen lebender Systeme auf höheren Stu­fen der Komple­xität, die hier nicht im einzel­nen besprochen werden sollen, wären etwa: Wechsel zwischen und Kombinatio­nen von Angriff und Verteidi­gung; neuartige Formen der Ver­teidigung, zum Beispiel soziale Verteidi­gung; neuartige Formen des Angriffs, zum Beispiel mit Mikrorobotern oder Virensoftware, >Mo­dellbildung über das kon­kurrie­rende System, über die sonsti­ge Umwelt und über die Konkur­renzsitua­tion; Strategiebil­dung, Ver­träge und Konventio­nen, Vermitt­ler­systeme. Auch in Konkurrenz­fel­dern mit derar­tig kom­plex or­ganisierten Sy­stemen könnten relative dynami­sche Gleichge­wichte, relative Pattsituationen mit der Zeit doch aufgebro­chen werden durch Mutationen in den beteilig­ten Syste­men oder in der Um­welt. Befremd­lich könnte hier wirken, daß auch höhere Arten von Einigung, etwa Verträge, sogar gemeinsam unter­haltene neutrale Syste­me, deren Aufgabe die Friedenssiche­rung ist, nichts an dem grund­sätzlichen Argu­mentati­onsmuster ändern könn­ten. Immer könnte ein lebendes System parallel zur Entwicklung von Sicherungs­syste­men bei seinen Konkur­renten schlei­chend Sy­steme entwickeln, die mit der Zeit alle bisheri­gen Sicherungen au­ßer Kraft set­zen. Immer wie­der würden Patt­situationen zer­bröckeln, gäbe es im Lauf der Zeit Löcher und Ritzen, durch die die "Total­prämie" der Ver­nichtung des Konkur­renten, gleichzeitig die Gefahr der eige­nen Vernichtung eindringen kön­nen.

 

 

 

Alternativen ...

 

Wo wären vor dem Hinter­grund die­ses Argumentati­ons­musters all­ge­meine Alterna­tiven zu suchen, die eine Ab­schaffung eines physischen Kon­fliktaus­trages mög­lich oder wahrschein­lich machen?

 

 

... müßten die Voraus-

­setzungen infragestellen

Hinreichen­de Voraussetzun­gen für die bisheri­gen Über­legungen waren:

-    Begrenzt­heit des Energies­troms und der Stoffres­sour­cen,

-    Auftreten von zufälligen, unvorher­sag­baren Muta­tionen,

-    Energieum­satz lebender Sys­teme.

 

Alternative An­nahmen hierzu wären eine offe­ne Öko­sphä­re, die Möglich­keit zufalls­freier Bereiche, schließlich ein anderer Energie- und damit Zeit­begriff. Diesen Alternati­ven soll im folgen­den skizzen­haft nach­gegangen werden.

 

 

 

3.1. Offene Öko­sphäre

 

 

Wachstum nach außen

mildert Konkurrenz

 

 

 

In einer unbe­grenzt wachsen­den Ökosphäre wäre die­ Kon­kur­renz zumindest gemildert. So­lange wachsend mehr Ener­gien und Stoffe ver­fügbar sind, bestünde kein un­mittel­barer Anlaß für leben­de Systeme, anderen lebenden Syste­men Energie und Stoffe streitig zu machen. Kon­flikte mit ande­ren Systemen wären weit­ge­hend überflüs­sig; lebende Systeme könnten Teilsy­steme abbauen, die sich mit anderem als Wachstum be­schäftigen. Al­lerdings könnte Konkurrenz und damit Anlaß zu Konflikten ent­stehen, wenn bestimmte Syste­me schneller wachsen als an­dere und damit auch in den wachsenden Ener­giestrom, den "Energiekeil" hinein­wachsen, den die weniger schnell wachs­tums­fähigen Sy­steme beanspru­chen könnten. Da aber eine unend­lich wachsende Ökosphäre schwer vorstellbar ist, wäre auch die Möglich­keit, damit physi­sche Konflikte zwi­schen lebenden Systemen über­flüssig zu ma­chen, letztlich doch hinfällig. Immerhin läßt sich denken, daß eine vorüberge­hend wachsende Ökosphäre vor­übergehend auch friedlicher sein kann, entlastet vom Druck in Richtung auf physischen Kon­fliktaustrag. Denk­bar ist etwa die Er­schließung der immensen Energien, die die Sonne - bis­her unge­nutzt durch lebende Systeme - zwi­schen den Plane­ten ins All ver­strömt. Gleich­zeitig könnte man an die Er­schließung der Rohstoffe der anderen Planeten denken. Erst wenn die Roh­stoffe der Pla­neten verbraucht wären oder die gesamte nutzbare Strahlung rings um die Sonne von >Kollektoren auf­gefan­gen würde - ähnlich flä­chendeckend, wie es auf der Erde durch die Pflan­zen ge­schieht - wäre das Auftreten von physi­schen Konflikten zwi­schen lebenden Systemen im son­nennahen Raum unaus­weichlich.

 

Wachstum nach innen

mildert Konkurrenz

 

 

 

Analog zum Wachstum nach außen könnte man sich ein unbe­grenztes "Wachs­tum nach innen" denken. Die Be­grenztheit des Energiestromes und der Stoff­vorräte wäre dadurch kompen­siert, daß le­bende Systeme ihre Ener­gie- und Stoff-Spar­samkeit unbe­grenzt steigern, so daß sie im Grenzfall mit verschwindend wenig En­ergie und Stoffen aus­kom­men könnten - bei gleicher Lebens­leistung. Eine solche Steigerung der Sparsam­keit wäre wohl ohne eine entsprechende Strukturver­fei­nerung nicht denkbar. Einer Strukturverfei­nerung und damit der Möglichkeit, durch Sparsam­keit physi­sche Konflikte zu vermeiden, wären allerdings durch die Körnung der Materie Grenzen ge­setzt. Erst wenn dargelegt werden könnte, daß die Materie auch im unter­atomaren Bereich unbegrenzte >In­formationsspei­cherung und Strukturver­fei­nerung erlaubt, wären die Gren­zen für das Wachstum nach innen und damit eine Bedin­gung für das Auftre­ten physischer Kon­flikte besei­tigt.

 

Arbeit für den Frieden

durch ein außerirdi­sches System

 

Die Begrenzt­heit des Ener­giestro­mes wäre auch durch Ein­griffe von au­ßerhalb aufgeho­ben. Ein außer­irdi­sches ener­gieumset­zen­des System kön­nte "Arbeit für den Frieden", also zur Stei­gerung des Sym­biose­anteils und zur Senkung des Kon­kur­renzan­teils auf der Erde - oder zur geziel­ten Ver­hinderung physi­schen Kon­flik­taus­trages ver­richten. Ein solcher "außer­irdi­scher Frie­densstif­ter" dürfte sich nicht aus dem auf die Erde fallen­den Son­nen­strahl und auch nicht aus den irdi­schen Stoffressour­cen nähren, um nicht selbst als Kon­kurrent zu wir­ken. Allerdings wäre hier zu fragen, wie weit ein energieum­set­zendes System von irgendwoher seinen eigenen Kon­kur­renten so weit entkommen kann, daß es sich ord­nende Arbeit für eine fremde Ökosphäre leisten kann. Welche Motiva­tion hätte ein solches System hierzu?

 

Frontwechsel durch

Bedrohung von außen

...

 

 

Statt eines au­ßerirdischen Friedensstifters könnte auch ein gemeinsa­mer au­ßerirdischer Feind, etwa ein Über­fall der "kleinen grünen Männchen" eini­gend auf das irdi­sche Konkur­renzfeld wirken. Gegen den gemeinsa­men existenz­bedro­henden Feind könnte man sich zu einer umfassen­den Symbiose verbinden, die vorherigen Kon­flikte beisei­te­stellen. Damit wäre allerdings der physi­sche Konflikt­austrag nicht aus der Welt ge­schafft, sondern nur die Front gewech­selt.

 

... oder evolutionäres Überholmanöver eines Symbiosepartners

 

 

 

 

 

 

Ein ähnlicher Frontwechsel könnte sich auch dadurch ergeben, daß bisherige Symbiosepartner infolge höhe­rer Evolutionsge­schwindigkeit zu Konkurrenten werden. Dieser Fall könnte in der Symbiose zwi­schen Men­schen und Ma­schi­nen auftre­ten. Wenn sich die Ma­schi­nen, allgemein die technischen Sy­steme so entwickeln, daß sie die Menschen zu verdrängen dro­hen, dann wäre eventuell ein gemeinsa­mer Kampf der Menschheit gegen die Maschi­nen zu erwarten - al­ler­dings nur, wenn die Be­dro­hung aktuell das Überleben der gesamten mensch­lichen Bevölke­rung in Frage stellte - und das Modell dar­über sich genü­gend schnell in den Köpfen ver­breitete. Denk­bar wäre dann der Weltfriede knapp vor der Aus­rottung der Menschheit durch die Maschinen, die dann die Stafette des Krieges überneh­men würden, da ja das bisherige Argumentations­muster auf sie ebenfalls an­wendbar wäre.

 

 

 

3.2. Zufalls­freie Bereiche

 

 

Entropiesatz:

zufalls­freie Bereiche

nicht möglich

 

 

 

Wenn man an­nimmt, daß klei­ne, zufällige, das heißt unvor­hersagbare Ände­rungen in Bau­plan oder Pro­gramm der betei­ligten Systeme oder in ihrer Umwelt möglich sind, dann müßte auch angenommen wer­den, daß deren Wahr­schein­lich­keit nicht von vorneherein als Null ange­setzt werden kann. Anderenfalls gäbe es eine Gesetzmä­ßig­keit über das Nicht­auftreten be­stimmter Ände­rungen - und das würde der Vor­aus­setzung wi­der­sprechen, daß die Änderungen zufällig sind. ">Zufall" bedeu­tet hier also, daß die Welt im Kleinen nirgends völlig voraus­sagbar ist. Dies ist eine allge­meine Formulie­rung des soge­nann­ten ">Entro­piesatzes", ei­nes grundlegen­den Naturgesetzes in einer komplexen Welt, das der Zeit eine Richtung gibt. Nach diesem Ge­setz kann es weder eine absolut reine Sub­stanz, noch einen Körper im absoluten Nullpunkt der Temperatur, noch einen Infor­ma­tionskanal ohne jegliches Rau­schen, noch eine Maschine ohne Rei­bung (ein ">Per­petu­um mobi­le") geben. Wäre der En­tropiesatz nicht allgemein gültig, dann gäbe es Bereiche ohne jeden Zu­fall, in denen man alle Ereig­nisse exakt vor­aussagen könnte. Dann wäre auch denk­bar, daß in solchen Berei­chen bestimmte "bösartige" Mu­tationen auf Dauer nicht auf­treten und damit eventuell be­stimmte Selbst­auf­schau­kelungen und Umkipp­vor­gänge, zum Bei­spiel der Aus­bruch von Krie­gen, vermieden werden könnten.

 

Umbau im Fundament

der Physik?

 

In verbreite­ter Anschau­ung wird gerne mit dem Argu­ment des "Gei­sti­gen" die Möglichkeit zu­fallsfreier Be­reiche im menschlichen Gehirn postu­liert. Die Men­schen könnten sich dann als geistige Wesen dar­auf einigen, etwa auf Bevöl­ke­rungswachs­tum, auf Infil­tra­tion oder auf Angriff zu ver­zichten, und könnten si­cher sein, daß keiner der Part­ner die Einigung durch­bricht. Wenn aber der Entro­piesatz allge­mein gültig ist, dann dürf­ten solche ab­solut geordneten Be­reiche auch im menschli­chen Gehirn nicht möglich sein. Das Kon­zept der Eini­gung aller Menschen auf Frieden würde also indirekt den Entro­pie­­satz in­frage­stellen und da­mit einen Umbau in den Fundamen­ten heu­tiger Physik erfor­dern.

 

 

 

3.3. Umbau des Zeitbe­griffs

 

 

alternative Zeitbegriffe?

 

 

 

Ein solcher Um­bau wäre auch noch an einer anderen Stelle denkbar: Wenn ein lebendes System unter an­de­rem dadurch definiert wird, daß es Energie umsetzt, wären radikale Alter­nativen beim Begriff der Energie selbst und dann bei den damit verknüpf­ten Begriffen von Raum und Zeit anzusetzen. Mit einem ande­ren Begriff von Zeit würde alles relati­viert, was über Energie und Energiekon­kur­renz gesagt wur­de. Man könnte etwa die Vor­stellung einer einheitlichen Zeit aufgeben. Die Zeit, in der der Entropiesatz gilt, könnte ergänzt werden durch eine ande­re Zeit, in der so etwas wie die Abschaffung des Krieges möglich wäre, weil der Entropiesatz in dieser Zeit nicht mehr gilt. Verschiedene Arten von "Zeit" würden verschie­dene Arten von "Energie" bedeu­ten, so daß die Vorstellung ei­nes einheitli­chen Energie­stromes, in dem lebende Systeme konkurrieren, und damit die darauf aufbauen­den Überlegungen zu Grenzsiche­rung, Infiltra­tion, Angriff und Verteidigung hinfällig wür­den. Wie sich al­lerdings meh­rere Arten von "Zeit" oder "En­ergie" zuein­an­der verhalten, wenn man sie im gleichen Sprach- und Modell­zu­sam­menhang be­han­deln möch­te, das müßte erst im einzelnen dar­gelegt wer­den. Außerdem müßten die Er­fahrungen neu gedeutet werden, die eine ein­heitliche Zeit zumindest in dem Rahmen nahele­gen, in dem es sinnvoll ist, von "Konku­r­renz", "An­griff", "Vertei­digung", "physi­schem Konflikt­austrag" und ähnlichem  zu spre­chen.

 

Schließlich ist es denkbar, die Gleichförmigkeit oder die Gerichtetheit der Zeit in geeigneter Weise aufzugeben, so daß >Energie-Erhaltungssatz bzw. Entropiesatz relati­viert werden können. Selbst wenn so etwas in extremen Massenzusammenballungen ("Schwarzen Lö­chern") physi­kalisch plausibel sein sollte, dann sind solche Vorstellun­gen noch noch nicht ohne weiteres auf einen Bereich übertragbar, in dem gängigerweise von "lebenden Syste­men" und "Kriegen" gesprochen wird.

 

Auf keinen Fall wäre eine "kriegsrelevante" Neukonzep­tion des Zeitbe­griffs ein leichtes Unter­fangen; das Fun­dament der Phy­sik und damit der >Ökolo­gie müßte um- oder zumindest ausgebaut wer­den.

 

 

 

4.  Zusammenfas­sung

 

 

 

Die bisherigen Ausführungen lassen sich zu­sammen­fas­sen:

 

Krieg als "Naturgesetz"

 

 

 

Lebende Systeme in einer irdi­schen Umwelt, allgemein in einer endlichen Ökosphäre mit begrenztem Ener­gie­strom und begrenzten Stoffressourcen stehen in ir­gend­einer Weise miteinander in Konkur­renz. Bei allen leben­den Systemen einer bestimmten Min­destkomple­xi­tät, die mehr vermö­gen als nur zu wachsen und sich zu vermeh­ren, ist ein physischer Kon­fliktaus­trag mit dem Risiko der Existenzver­nich­tung auf immer neuen Stufen der Kom­plexität wahrschein­lich. Wenn unbegrenz­tes Wachstum möglich wäre, könnte eine we­sentliche Vor­aussetzung für das Auftreten physischer Kon­flikte ausge­schaltet werden. Ordnende Ein­griffe von au­ßerhalb einer Öko­sphäre könn­ten den Frieden fördern; der Kampf gegen ei­nen gemein­samen außerirdi­schen Feind oder gegen die zu Konkur­renten werdenden Maschinen könnte die Frontlinie neu orientieren. Wenn aber die Randbedin­gung des begrenz­ten Energiestroms und keine Ein­griffe von außen an­genommen wer­den, dann wäre das Konzept der Abschaf­fung phy­sischen Kon­fliktaus­trages mit der lücken­losen Geltung des Entropiesat­zes nicht zu verein­baren; es wäre mit dem Projekt eines Perpetuum mobile zu vergleichen. Wenn ein solches Perpetuum mobile möglich sein soll, müßten die Funda­mente der Physik, etwa der Begriff der Zeit umgebaut werden. Vor dem Hinter­grund gängiger Physik könnte man also in ge­wissem Sinn den Krieg als "Natur­gesetz" bezeich­nen.

 

Verschiebung

in der Motivation

für Friedens­arbeit

 

Würde ein sol­ches Ergebnis nicht nieder­schmet­ternd auf jede Frie­dens­arbeit wirken? - Ich vermute, daß Über­legungen wie die in die­sem Aufsatz dar­ges­tellten eher die Motivation zu Friedensar­beit läutern könnten. Wenn die Hoff­nung auf die Abschaffung des Krieges zer­stört wird, wür­de sich diese Motivation von der eines Bau­mei­sters, der in endlicher Zeit "das Haus des Friedens" bauen möchte, in die Richtung auf die Motiva­tion eines Arztes verschie­ben, der weiß, daß er immer wieder dem Tod unterliegen wird, und der den­noch immer aufs neue gegen ihn antritt.

 

 

 

 

 

Begriffe - wie sie hier verwendet werden:

 

 

 

Aggression = Angriff

 

Aggressivität = Angriffs­bereitschaft

 

Ambivalenz = Doppelgesichtigkeit, Doppel­wer­tigkeit

 

dynamisches Gleichge­wicht = ein in ge­wissen Grenzen (z.B. abgesehen von geringen Schwan­kungen) gleichbleiben­der Zustand eines >dynamischen Systems. Beispiele: Ein rund laufender Motor, ein Wasserfall, ein gleichmäßig fliegen­der Vogel.

 

dynamisches System = >System mit Ver­änderun­gen in der Zeit

 

Energie = Fähigkeit eines dy­nami­schen Sy­stems, Arbeit zu leisten. Einer der Grundbegriffe der Phy­sik

 

Energie-Erhaltungssatz = Satz von der Erhaltung der Energie und damit der Un­möglichkeit eines Perpetuum mo­bile 1. Art (einer Maschine, die aus nichts Energie erzeugen kann). Gleichbedeutend mit der Annahme der Gleichförmigkeit der Zeit. Auch "Erster Hauptsatz der Thermodyna­mik" genannt.

 

Entropie = wissen­schaftliches Maß für >Ordnung und Unordnung eines >Sy­stems, oft auch gleichbedeutend mit "Unordnung" verwendet.

 

Entropiesatz = "Zwei­ter Hauptsatz der Ther­mo­dyna­mik", Satz von der Unum­kehr­barkeit der Zeit - unter gängi­gen Bedin­gungen; gleichbedeutend mit der Unmög­lich­keit, Ord­nung ohne En­er­gie­ein­satz zu schaf­fen, ins­be­son­de­re der Un­möglichkeit, ein "Per­pe­tuum mobi­le" 2. Art zu bau­en - eine Ma­schi­­ne, die ohne Rei­bung läuft. Der En­tropie­satz wird in ver­schie­denen Sprich­wör­tern aus­ge­drückt, z.B.: "Der Krug geht so lan­ge zum Brun­nen, bis er bricht".

 

Evolution = Entwick­lung, insbesondere Entwicklung der leben­den >Systeme auf der Erde in gegen­seitiger Beeinflussung und unter Verände­rung der inneren >Struktur

 

evolutionsinvariant = über lange Zeiten der >Evolu­tion stabil (z.B. das Zah­len­ver­hältnis der Ge­schlechter)

 

Gleichgewicht = Zustand eines Systems, das sich - in gewissen Grenzen - in der Zeit nicht ändert. Ein statisches Gleich­ge­wicht kann ohne Ener­gieumsatz erhalten wer­den, ein >dynamisches Gleichgewicht nur mit Energieumsatz.

 

Hauptsätze der Thermodynamik = >Ener­gie-Erhaltungssatz und >En­tropiesatz.

 

Infiltration = Einsickern von Materialien in einen Raum oder auch von Menschen in ein fremdes Territorium

 

Information = Ungewißheit von Ereignissen, zum Beispiel von Zuständen eines >dyna­mischen Sy­stems oder von Störun­gen aus der >Umwelt, gleichzeitig (bis auf das Vorzeichen) aber auch das Wissen, das die Ungewißheit aufhebt. Einheit der In­formation: eine Ja/Nein-Entschei­dung (Bit).

 

Klimax = Endzustand einer Entwicklung im >dynamischen Gleichge­wicht, zum Beispiel bei der natürlichen Bewal­dung einer Bodenflä­che

 

Koexistenz = Nebenein­an­der-Existie­ren zweier energieumsetzen­der, insbesondere lebender Systeme

 

Kollektor = Sammler, zum Beispiel für Sonnenener­gie

 

Komplexität = Vielfalt unterschiedlicher Beziehungen in einem >System

 

Konflikt = Zusammenprall gegensätzlicher Interessen

 

Konkurrenz = das Beanspruchen der glei­chen >Ressource durch zwei oder mehre­re lebende Systeme.

 

Krieg = (hier) physischer Konflikt zwi­schen leben­den Systemen mit Exi­stenzri­siko

 

lebendes System = (hier) dynamisches, >Energie und Stoffe umsetzendes System, das eine lang­fristige Entwicklung zu hö­herer Ordnung (>Evolu­tion) zeigt

 

Modell = Gegenstand, der mit ei­nem anderen Gegenstand - dem "Ur­bild" des Modells - Ei­gen­schaften oder Beziehun­gen ge­meinsam hat. Kann zur Energie-Einsparung beim Erproben von Verhalten in der >Umwelt benutzt werden.

 

Mutation = Erschließen von Möglichkeiten durch kleinste Verän­derungen, insbeson­dere in der >Evo­lution

 

Ökologie = Wissen­schaft von den Wech­selwir­kungen, insbe­sondere dem Stoff- und Energieaustausch le­bender, allgemein energieumsetzender >Systeme mit ihrer >Umwelt, verall­gemeinert Wissen­schaft von den >Ökosystemen

 

Ökosphäre = der Raum, in dem sich Lebewesen aufhalten - verallgemeinert Gesamtheit aller energieumsetzenden >Syste­me mit ihrer stoff­lichen >Umwelt, die sich aus einem Energie­strom spei­sen.

 

Ökosystem = Wirkungs­gefüge aus Lebe­wesen, unbelebten natürlichen sowie ggf. auch techni­schen Bestandteilen, die unterein­ander und mit ihrer >Umwelt in Wech­sel­wir­kung stehen, ins­besondere >Energie und Stoffe austau­schen.

 

Patt = Unentschieden durch gegenseitiges Blockieren

 

Perpetuum mobile = (lat.: "ewig beweg­lich") eine Maschi­ne, die ent­we­der Energie aus nichts schafft - Per­pe­tuum mobile 1. Art, oder ewig ohne Reibung läuft - Perpe­tuum mobile 2. Art. Ersteres wi­der­spricht dem >Ener­gie-Er­hal­tungssatz, zweiteres dem >En­tropie­satz, also den >Haupt­sät­zen der Ther­modynamik. Beide können dem­nach - in gängigen Bereichen der Physik - grund­sätzlich nicht exi­stie­ren

 

physisch = körperlich, stofflich

 

Ressourcen = Energie, Rohstoffe, Boden und andere Grundlagen für die Existenz eines leben­den Systems, insbeson­dere menschlicher Gesellschaften.

 

Strategie = ursprüng­lich Kriegskunst. Ver­allgemeinert allgemei­ne Linie eines leben­den Systems für die Auseinanderset­zung mit seiner >Umwelt.

 

Symbiose = Zusammen­wirken zwischen zwei oder mehreren lebenden, allgemein energie­umsetzenden >Systemen zu gegenseitigem Vor­teil - meist als ge­gen­seitiger Austausch von Stoffen und Ener­gien dar­stellbar.

 

System = Gesamtheit von Elementen, die unterein­ander, bei offenen Sy­stemen auch mit ihrer >Umwelt, in Beziehung stehen.

 

technisches System = planmäßig herge­stellter Gegenstand: Bauten, Leitungsnet­ze, Geräte, Maschinen, Automaten, Robo­ter, auch Computerprogramme

 

Territorium = Lebens­raum einer >Popula­tion von Lebewesen

 

Umwelt = Im allgemei­nen Sinn = Ge­samt­heit aller Systeme, die mit ei­nem bestimm­ten Sy­stem in Beziehung ste­hen. Im engeren Sinn = die Ge­samt­heit der natürlichen Systeme, die mit der mensch­li­chen Zivilisa­tion in Beziehung stehen, also Ge­stein und Boden, Gewässer, Luft­hül­le, Pflan­zen- und Tier­welt.

 

Zufall = Unvorhersagbarkeit von Ereignis­sen. Gegensatz: >Ordnung