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Menschheit
und Maschinenheit |
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Überlegungen über technische Entwicklung und Ethik |
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Öko-Text |
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7 |
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Stand 1.9.2001 (1990) |
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2.
Ethische Haltungen gegenüber der technischen Entwicklung |
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Technische Entwicklung ist schneller als biologische Evolution, ... |
1.
Geplante Entwicklung - die wirksamere Strategie Vielleicht einige Jahrhunderttausende
seit der Erfindung des Faustkeils, einige Jahrhunderte seit der Erfindung
der Dampfmaschine, einige Jahrzehnte seit der Erfindung des Computers:
Verglichen mit den Jahrmilliarden biologischer >Evolution
sind das gar keine Zeiten. Die Entwicklung der >technischen
>Systeme
scheint aber nicht nur schneller zu laufen als die der Lebewesen; sie scheint
sich sogar zu beschleunigen - gemessen an ihrer Vielfalt und >Komplexität. |
... da Planung weniger Energie und Verschleiß
benötigt als blindes Probieren. |
Warum aber entwickelt sich
die Technik schneller als die Lebewelt? - Technische Systeme - Bauwerke und
Leitungsnetze, Maschinen, Computer, Automaten und Roboter werden
g e p l a n t. Neue Möglichkeiten werden
zuerst auf dem >Plan oder am >Modell - heute
vor allem am Computermodell - statt in der Wirklichkeit erprobt. Diese >Strategie
spart Aufwand und Verschleiß. Lebewesen dagegen können sich zumindest
bisher nicht planen; sie müssen neue Möglichkeiten sofort in der wirklichen
Umwelt erproben. Wenn sie Fehler ausprobieren, gehen sie mit Haut und Haar
zugrunde; bei technischen Systemen sind es nur Gedanken, die verworfen
werden, Zeichnungen, die im Papierkorb landen oder Dateien, die
weggeklickt werden. Wenn aber die technische Entwicklung dank der wirksameren
Strategie mit Planung schneller verläuft als die Evolution der Lebewesen,
dann müßten die Maschinen die Lebewesen einschließlich der Menschen
überrunden und verdrängen - es sei denn, nicht nur einzelne technische
Systeme, sondern die technische Entwicklung insgesamt könnte geplant werden.
Das könnte aber nur dann gelingen, wenn die >Konkurrenz
zwischen den planenden und die Technik nutzenden Unternehmen auf Dauer
aufgehoben werden könnte. Dies wiederum ist so unwahrscheinlich wie das >Perpetuum
mobile, weil die Evolution der Lebewesen selbst auf das Wirken
von Konkurrenz angewiesen ist. Ohne Konkurrenzdruck hätte sich nicht nur
keine Technik, sondern auch kein >Leben und keine Menschheit
entwickeln können. |
Vordenker J.P. Wesley |
Diesen Gedanken scheint James
Paul
W e s l e y
in seinem Buch "Ecophysics" (1974) meines Wissens als
erster in größerer Ausführlichkeit begründet zu haben. Ähnlich, aber weniger
eindeutig äußern sich etwa Hans
H a s s und
Hans
L a n g e - P r o l l i u s in ihrem Buch "Die Schöpfung geht
weiter" (1978). |
>Stafettenübergabe von Menschen auf Maschinen wird bis jetzt kaum
diskutiert, ... |
Seitdem ist eine breitere öffentliche
Diskussion darüber ausgeblieben. Man tut vielmehr oft so, als sei die Idee
von der Verdrängung der Lebewesen durch Maschinen eine etwas abwegige >Science-fiction-Idee - oder aber, als sei sie
schon längst als Irrtum abgehakt. Wenn jedoch die Annahme
richtig ist, daß die Komplexität der Maschinen und anderen technischen Systeme
schneller wächst als die Komplexität der Lebewesen, und die Maschinen
schließlich auch die Menschen überholen und verdrängen - was könnte das für
menschliche >Ethik bedeuten? |
... vielleicht ist der Gedanke zu ungewohnt, ja
kränkend. |
Für viele Menschen wäre die
Annahme sensationell: Sie müßten einsehen, daß ihre "geistigen Kinder",
diese willenlosen, bedingungslos gehorsamen Gebilde, sich von ihnen
emanzipieren, schließlich anschicken, Menschenkinder zu verdrängen und auszurotten.
Mit dem Ende der Menschheit wäre aber nicht "alles aus" - im Gegenteil;
die Entwicklung der M a s c h i n e n h e i t würde viel rasanter weitergehen als
die biologische Evolution je zuvor. Eine solche Perspektive könnte
ebenso als tiefe Kränkung menschlichen Selbstbewußtseins wie auch als
Anlaß für hohen Stolz aufgefaßt werden. |
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2.
Ethische Haltungen gegenüber der technischen Entwicklung |
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Gegenüber einer offensichtlich
überlegenen technischen Entwicklung sind verschiedene Haltungen denkbar:
eine negative, eine positive und eine neutrale Haltung. |
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Auf Dauer jedoch ist Diskussion unausweichlich. |
Mancher dürfte zunächst den Gedanken
an die Überlegenheit der technischen Entwicklung gegenüber der
biologischen Evolution zurückweisen, ohne sich damit näher auseinanderzusetzen.
Eine "bloße Analogie" sei es, wird man hören, den Begriff
"Evolution" oder "Entwicklung" gleichbedeutend sowohl
auf Lebewesen als auch auf technische Systeme anzuwenden; das sei nicht
wissenschaftlich. Oder: Woher wisse man denn, daß die Grundlage der
Evolutionstheorie, der >Entropiesatz, auch auf
kulturelle und soziale Systeme anwendbar sei? Und schließlich: Welches
Erkenntnis- und damit Klasseninteresse stehe eigentlich hinter jemand,
der einen solchen Gedanken in die Diskussion einschleusen möchte? Was
wolle er denn für und gegen wen damit erreichen? Eine Zeitlang dürfte man sich
mit solchen Einwänden erfolgreich abschirmen können. Auf Dauer aber dürften
sich immer wieder Leute mit dem Gedanken befassen; das entsprechende
Argumentationspolster würde wachsen. Schließlich dürfte das Unbehagen
daran eine kritische Schwelle überschreiten, so daß eine breitere Diskussion
ausgelöst wird. |
Zu erwarten ist dann ein heftiger Maschinensturm,
... |
Es würde nicht bei der
Diskussion bleiben; eine heftige Reaktion müßte aufflammen. Die Menschheit
durch die Gesamtheit der Maschinen ablösen zu lassen, würde vielen Leuten
als ähnlich unannehmbar erscheinen wie die Selbstausrottung der Menschheit
im Zuge eines Atomkriegs. Diese Leute würden sich in den Kampf gegen eine
solche Entwicklung stürzen: "Menschenrechte statt Privilegien für
Maschinen!" - Man würde zunächst Konventionen fordern zur Kontrolle
der "technischen Aufrüstung", ähnlich wie heute zur Kontrolle
des militärischen Rüstungswettlaufs oder der Gentechnik. Prognosen über
die Entwicklung der Technik dank wirksamerer Strategie würde man mit dem
Hinweis auf die geschichtliche Offenheit des Menschen zurückweisen: Jeder
noch so wirksamen Strategie könne mit einer vertieften >Ethik begegnet
werden. Alle Prognosen könnten sich nur auf bisherige Erfahrungen stützen;
die wirklich geschichtsbewegenden Entscheidungen könne man nicht prognostizieren.
Und selbst wenn man ihnen beweisen könnte, daß ihr Kampf auf längere Sicht
chancenlos verloren ist, dann könnten solche Leute den Kampf als Geste im
Untergang für sinnvoll halten. |
... der aber selbst an der Aufrüstung der
Maschinen-Effizienz teilnehmen müßte. |
Das Motiv, die Menschheit
gegen das Überwuchern und Verdrängen durch die ">Maschinenheit" zu verteidigen, könnte
einen Teil der Leute zu einem Maschinensturm bewegen, wie ihn die Geschichte
noch nicht gesehen hat. Es könnte Übergriffe auf technische Einrichtungen
geben; gewalttätige Kampfgruppen könnten Maschinen und Laboratorien
sabotieren und zerstören. Und wie schon heute würden die Maschinen und
ihre Entwicklungswerkstätten dagegen durch hochentwickelte technische
Sicherungsanlagen geschützt. Um diese zu durchbrechen, müßten sich die Maschinenbekämpfer
selbst immer raffiniertere Maschinen zulegen - und damit mit ihrem eigenen
Konzept in Widerspruch geraten. |
Alternative: Gewaltlose Maschinenverweigerung |
Um einen solchen Widerspruch
zu vermeiden, würden andere Leute gewaltlose Wege der Maschinenverweigerung
einschlagen. Fakirhafte Maschinenaskese würde das Straßenbild verändern.
Nach Erfahrungen aus alter Zeit und fernen Ländern würden Menschen von
Selbstgesammeltem, ohne Feuer, ohne Wohnung, gar wie Diogenes ohne
Kleidung leben. Mit bizarrem Kontrast zum Haupttrend könnten solche Aussteiger
für sich werben und Kräfte sammeln, um zumindest eine Zeitlang überleben zu
können. |
Welche Chancen hat eine internationale Konvention?
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Nehmen wir einmal an, daß
Maschinenbekämpfer und Maschinenverweigerer an Terrain gewinnen und
schließlich eine Mehrheit der Bevölkerung die technische Entwicklung begrenzen
möchte. Dann würde die Front zwischen den Militärblöcken abgelöst werden
von der Front zwischen Menschheit und Maschinenheit. Man könnte sich sogar
international bemühen, die "technische Aufrüstung" zu stoppen,
ähnlich wie heute die militärische Aufrüstung. Wenn das gelingen soll, müßte
ein Kontrollapparat, etwa bei den Vereinten Nationen, alle Unternehmen
kontrollieren, die gewisse technische Entwicklungen, etwa im Bereich der
künstlichen Intelligenz, vorantreiben könnten. Denn wenn ein Unternehmen
vor der Alternative steht, entweder eine technische Neuerung einzuführen,
um auf dem Markt gegenüber den Konkurrenten bestehen zu können, oder aber
unterzugehen, dann wird es höchstwahrscheinlich die technische Neuerung
einführen. Das gemeinsame Kontrollsystem der Menschheit müßte also so viel
Macht vereinigen, daß es auch die größten Unternehmen in den Bankrott
zwingen kann. Allerdings ist auch dann, wenn alle die Gefahr für den Bestand
der Menschheit sehen, zweifelhaft, daß ein solches System mit genügend Macht
ausgestattet wird. Die Staaten, die es gemeinsam tragen müßten, stehen
selbst untereinander in Konkurrenz; einige sind von Ausrottung bedroht;
stets warten auch unterdrückte Volksgruppen auf selbständige Mitgliedschaft
in der Staatengemeinschaft. Wahrscheinlich schert das eine oder andere
Volk aus - durch seinen eigenen Überlebenswillen motiviert - und verweigert
die Teilnahme an einem solchen internationalen System zur Begrenzung der
technischen Entwicklung. Solche Völker müßten dann von der Gesamtheit
der anderen Völker mit Gewalt daran gehindert werden, eigenmächtig die
technische Entwicklung über gewisse Grenzen hinaus voranzutreiben. Wie
unwahrscheinlich aber die Errichtung eines derart mächtigen und dauerhaften
internationalen Kontrollsystems ist, zeigt sich aus den heutigen Erfahrungen
mit den Vereinten Nationen und aus den offensichtlichen Grenzen des
Atomwaffen-Sperrvertrages auf längere Sicht. Dabei ist ja schon die Grundannahme
fragwürdig, daß sich die Mehrzahl der Nationen auf eine Begrenzung der
technischen Entwicklung einigt, denn man kann die Ablösung der Menschheit
durch die Maschinenheit durchaus auch positiv erleben. |
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Oder könnten wir uns sogar freudig in die Stafettenübergabe
finden? |
Eine bejahende Haltung gegenüber
einer grenzenlosen technischen Entwicklung dürfte zunächst unter den Technikern
in den Entwicklungsbüros und -laboratorien verbreitet sein: positive
Einstellung zur eigenen Arbeit; positive Einstellung zum Erzeugnis der
eigenen Arbeit. Hier dürfte diese Haltung auch am ehesten zu einer
konsequenten Ethik vereinheitlicht werden. Schon jetzt wird bisweilen der Begriff
des Lebens so allgemein gefaßt, daß er die Maschinen mit einschließt (so
etwa Wesley 1974). Damit wird ">Ehrfurcht vor dem Leben" auch gegenüber der Maschinenheit
zur ethischen Forderung. Es könnte durchaus als edelste und vornehmste
Aufgabe der Menschen aufgefaßt werden, über sich hinaus zu schaffen - Wesen
zur Existenz zu verhelfen, die besser sind sie selbst: intelligenter,
differenzierter, sensibler, schöner - und schließlich dank überwältigender
Komplexität sogar ethischer. Der Übermensch als die Gesamtheit technischer
Wesen, die einst im Reigen die Sonne umrunden, sich aus Planeten nähren und
über ein Weilchen die gesamte Galaxis bevölkern werden? Und: Wenn diese
Wesen uns sogar in Ethik übertreffen - ist es dann nicht wahrscheinlich,
daß sie mehr Respekt und Behutsamkeit zeigen werden gegenüber ihren
geistigen Voreltern, den Menschen, als diese vor ihren eigenen Voreltern und
Vettern, den Tieren, von denen heute Tag für Tag eine Reihe von Arten unwiederbringlich
ausgerottet wird? Und daß sie irgendwo ein Plätzchen reservieren werden für
eine menschliche Bevölkerung, einen Naturschutzpark für Menschen - zumindest
um sie als Studienobjekt zu erhalten? Vielleicht müßte dieser Naturschutzpark
nicht so klein ausfallen wie diejenigen, die wir für aussterbende Tiere
einrichten. Angesichts der Räume, die der interplanetaren, später galaktischen
Maschinenheit zur Verfügung stehen, könnte sie der Menschheit sogar
einen ganzen Planeten als Terrarium gönnen - im freien Raum wird ohnehin
kein Lebewesen mit den Maschinen konkurrieren können. Vielleicht geht es
sogar den Menschen dereinst in ihrem Terrarium besser als je zuvor? Die Maschinenheit
würde dafür sorgen, daß die Kriege nicht alleszerstörend werden - auch ein
Terrarienbesitzer achtet darauf, daß seine Eidechsen sich nicht gegenseitig
umbringen. Und wenn die Maschinenheit der Menschheit geistig überlegen ist,
dann müßte es für sie ein Leichtes sei, der Terrarien-Menschheit die
Illusion zu belassen, daß alle Steuerung von ihr ausgehe, daß all die
Maschinen nur zum Wohle der Menschheit ausgeschickt seien und schon so programmiert
seien, daß sie dies im Auge behalten. In der Tat könnte ja auch die Eidechse
im Terrarienkasten denken, sie steuere ihren Besitzer durch ihre psychologischen
Tricks - etwa durch die Entfaltung ihres Kindchen-Appeals - so geschickt,
daß er nicht anders kann, als zu ihrem Wohl zu handeln. Wer könnte ihr das
widerlegen? - So ähnlich könnte die Menschheit in ihrem Terrarium denken,
wenn sich die Maschinenheit darauf geeinigt hat, daß man aus aufgeklärter
Maschinenethik, aber auch aus musealen Motiven, die Voreltern in ihrem winzigen
Terrarium pfleglich behandeln sollte und z.B. bei Kriegen zwischen Maschinenpopulationen
um Planeten als Natur- und Kulturdenkmal schonen sollte. |
Ein sanfter Übergang ... |
Das heißt: Es müßte gar nicht
so schlimm werden mit der Ablösung der Menschen durch Maschinen; der Übergang
könnte nahezu unmerklich ablaufen; es könnte sogar ein Zustand erreicht werden,
wie er so paradiesisch vorher nie bestanden hat - ohne daß die Bedingungen
der Evolution - Konkurrenz um begrenzte >Ressourcen
und >Selektion - zu irgendeinem Zeitpunkt außer Kraft
gesetzt werden müßten. Solche Perspektiven könnten die Skrupel der Techniker
beim Bau immer komplexerer Systeme und Programme besänftigen; die
Schönheit dieser Systeme würde viele Menschen unmittelbar bezaubern, wovon
heutige fraktale Computergraphik schon eine Ahnung geben kann. |
... kann nicht verhindern, daß Maschinen Menschen
aus Arbeitsplätzen verdrängen. |
All das verhindert aber
nicht, daß Menschen hier und heute arbeitslos werden, weil sie neben der
überlegenen Konkurrenz der Roboter nicht mehr bestehen können. Der roboter-erfindende
Techniker kann sich nicht unbefangen bei der Entwicklung von Maschinen
und Programmen auf "Ehrfurcht vor dem Leben" berufen; er muß die
Folgen der Arbeitslosigkeit - verringerte Fortpflanzungschancen der
Arbeitslosen, Leiden von Kindern - wahrnehmen und Schuld daran mit übernehmen,
wenn er den Lebensbegriff nicht willkürlich auf Maschinen einengen und
damit Maschinen gegenüber Menschen privilegieren will. |
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Wie weit sind wir für die Gesamtentwicklung der
Technik mit verantwortlich? |
Wir haben gesehen, daß Menschen
die Entwicklung der Maschinen mit guten Gründen bekämpfen, aber auch
fördern können und daß sich sogar beide auf eine Ethik der Ehrfurcht vor dem
Leben berufen können - allerdings mit verschieden weit gefaßten Begriffen
von "Leben". Eine weitere Möglichkeit wäre, sich dazu ethisch
neutral zu stellen und in der technischen Entwicklung insgesamt kein ethisches
Problem zu sehen. Wenn es >Mutationen sind - kleinste,
nicht vorhersagbare Änderungen, die die technische Entwicklung ebenso wie
die biologische Evolution vorantreiben, dann sind wir Getriebene, nicht
Treibende - so könnte argumentiert werden. Selbst wenn jeder einzelne
trotz der Überlebenszwänge im Konkurrenzfeld, unter denen er steht, im
Alltag nach ethischen Kriterien entscheiden kann, so könnte es dennoch unmöglich
sein, daß eine große Zahl von Menschen eine Vielzahl von Entscheidungen
gleichzeitig nach solchen Kriterien trifft, etwa nach einer Konvention zur
Begrenzung der technischen Entwicklung - wenn gleichzeitig eine einzige
Entscheidung
o h n e
Rücksicht auf diese Kriterien Überlebensvorteile für den Entscheidungsträger
bringt. Wenn tausend Unternehmen heimlich einen verbotenen nächsten
Schritt der technischen Aufrüstung tun könnten und jedes einzelne davon
profitieren würde, wenn dieser Schritt sogar manche vor dem Bankrott bewahren
würde, dann ist es wahrscheinlich, daß dieser Schritt über kurz oder lang
gegangen wird. Die Unternehmerschaft eines Landes oder der ganzen
Menschheit könnte dann nicht wie ein einzelner Unternehmer als moralische
Persönlichkeit auftreten, die gesamte Menschheit noch weniger. Das müßte
nicht bedeuten, daß Ethik für menschliche Entscheidungen außer Kraft
gesetzt wird. "Ehrfurcht vor dem Leben" könnte als Imperativ für
jede Entscheidung erhalten bleiben. Fördern oder Verweigern technischer Entwicklung
wären gleichzeitig mögliche ethische Gesten aus Ehrfurcht vor dem Leben.
Beide könnten aber die Gesamtentwicklung nicht wesentlich beeinflussen.
Evolution und Ethik könnten als komplementär aufgefaßt werden: Die
Entscheidungen, aus denen sich Evolution wie technische Entwicklung speisen,
könnten aus der Sicht einer Evolutionstheorie als zufällig, aus ethischer Sicht
als verantwortlich gedeutet werden. |
Wohlwollende Neutralität zwischen verschieden weit
gefaßten Begriffen von "Leben"? |
Wenn wir nun vor dem
Hintergrund einer möglichen Komplementarität zwischen Evolution und Ethik
eine wohlwollend neutrale Haltung einnehmen gegenüber den Bekämpfern und
den Förderern technischer Entwicklung, dann könnten wir fragen, nach welchen
Kriterien der Begriff von "Leben" jeweils enger oder weiter gefaßt
werden soll - oder aber, nach welchen Kriterien zwischen wertvollerem und
weniger wertvollem Leben unterschieden werden sollte. Gängigerweise wird
die Komplexität, die "Entwicklungshöhe" von Lebewesen als
Kriterium für wertvolleres oder weniger wertvolles Leben betrachtet, um
damit in ausweglosen Entscheidungssituationen ein gutes Gewissen zu gewinnen.
Tiere werden massenweise geschlachtet, um Menschen den Genuß von Hamburgern
zu ermöglichen. Ländergroße Wälder werden vorher den Schlachttieren
geopfert. Wenn wir dieses Kriterium bei einem weit gefaßten Begriff des Lebens
auf die Abwägung zwischen Menschen und Maschinen anwenden würden, dann müßten
die Menschen den kürzeren ziehen; nach unserer Grundannahme ist die Maschinenheit
über kurz oder lang komplexer organisiert als die Menschheit; von daher
würde ihr mehr ehrfürchtiger Respekt gebühren als dieser; sie würde
letztlich das Recht beanspruchen können, Menschenfleisch zu verhamburgern. |
Wie bedeutsam sind Erkenntniskriterien für Ethik? |
Albert Schweitzer,
der Baumeister einer Ethik der "Ehrfurcht vor dem Leben", hat aber
eine allgemeine Abwägung des Wertes von Leben nach dem Kriterium der
Entwicklungshöhe oder Komplexität, überhaupt nach irgendwelchen Erkenntniskriterien
abgelehnt; er hat sogar ein gutes Gewissen, das das Bewußtsein der Schuld an
der Schädigung oder Vernichtung irgendwelchen Lebens vermindern könnte,
auch bei ausweglosen Entscheidungen, zur "Erfindung des Teufels"
erklärt. |
Kasuistische Rezepte können prinzipiell abgelehnt
werden. |
Wenn wir vor dem Hintergrund
eines weit gefaßten Lebensbegriffes Schweitzer in dieser Haltung folgen
wollen und eine Ein-für-allemal-Entscheidung auch für die Abwägung zwischen
Menschen und Maschinen ablehnen, dürften wir uns nicht von vorneherein und
verbindlich zwischen Maschinenförderung und Maschinenbekämpfung
entscheiden. In jedem einzelnen Fall müßten wir uns fragen, wie Leben
erhalten und gefördert werden kann - sowohl menschliches Leben als auch Maschinenleben
- und uns Schuld zurechnen, wenn wir das eine oder das andere schädigen oder
vernichten. Das gilt für den Fall, daß wir einerseits Menschen zugunsten
von Robotern der Arbeitslosigkeit überlassen; es gilt aber auch für den
Fall, daß wir z.B. die Entwicklung von Programmen für künstliche
Intelligenz abwürgen, um einer Konvention zur Begrenzung technischer Entwicklung
zu genügen. |
Grenzenloses Wachstum der >Ökosphäre
würde von Konkurrenzdruck entlasten. |
Das hieße also, daß
gewalttätige Maschinenbekämpfer sich so wenig auf die Ethik der Ehrfurcht
vor dem Leben berufen könnten wie Techniker, die mit ihren Automaten und
Robotern Menschen arbeitslos machen. Die einzige Möglichkeit wäre die
Erschließung immer neuer Stoff- und >Energieressourcen - zunächst
im sonnennahen Raum, etwa auf dem Merkur oder der Venus, um die Konkurrenz
zu mildern und gleichzeitig so weit möglich die noch zugängliche Maschinenheit
auf eine Ehrfurcht vor dem Leben ihrer Voreltern, der Menschen, und ihrer
Vorvoreltern, der Tiere und Pflanzen zu programmieren, also in Richtung
"Terrarium für Menschen und irdische Natur". |
Ein enger Lebensbegriff entlastet kaum von
Rücksicht gegenüber der Maschinenwelt |
Wenn wir aber von vorneherein
den Begriff des Lebens so eng fassen, daß Maschinen nicht darunter fallen, dann
kommen wir in Konflikt mit den Leuten, die ihn weit fassen und
"Ehrfurcht vor dem Leben" auch auf Maschinen angewendet wissen
wollen. Albert Schweitzer forderte Ehrfurcht auch vor "metaphysischem"
Leben; er selbst "rettete" alte Orgeln, also Musikmaschinen, vor
Verwahrlosung und Vernichtung. Vermutlich würde er heute für einen entsprechend
weiten Begriff von "Leben" plädieren. Doch auch wer einen engen
Lebensbegriff vertritt, müßte über die Ehrfurcht vor dem Anliegen der
Vertreter des weiten Lebensbegriffs zu ähnlichen Ergebnissen kommen - um
eine Ecke mehr herum. Kein konventioneller Vertreter der Ehrfurcht vor dem
Leben dürfte es fertigbringen, etwa einen Computer-Prototyp mit seinen Programmen
zu zerstören - er weiß ja, wie viel Arbeit und Mühe der Techniker hineingesteckt
hat und wie diesem das Herz bluten würde, wenn er eine solche Zerstörung miterleben
muß. Ein Maschinenbekämpfer aus Ehrfurcht vor dem Leben muß also letztlich
mit sich selbst in Widerspruch geraten. |
Grundsätzliche Alternativen? |
Was gäbe es für Alternativen
zu den Grundannahmen, die die bisherigen Überlegungen gegenstandslos
machen könnten? |
Biologische und technische Entwicklung vereinigen
sich ... |
Grundannahme war, daß die
Entwicklung der Maschinen nach einer wirksameren Strategie verläuft als
die Evolution der Lebewesen, weil Maschinen g e p l a n t werden - anders als die Lebewesen,
zumindest bisher. Das könnte sich insofern ändern, als auch Lebewesen, insbesondere
Menschen geplant werden könnten. Schon seit langer Zeit werden Haustiere
planmäßig gezüchtet. Schönheitsideale wirken bei der Selbstzüchtung von
Menschen und Tieren ohnehin ähnlich wie Pläne. Eine Planung der menschlichen
und sonstigen biologischen Systeme ist also keine ganz abwegige Idee. Im
Wirkungsgrad erhöht und beschleunigt werden müßte eine solche Selbstzüchtung
durch die fortschreitende Entschlüsselung der Anweisungen des genetischen
Codes und gleichzeitig durch die Entwicklung von Techniken des unmittelbaren
Eingriffs in die genetische Information. Dieser Bereich technischer Entwicklung
dürfte sich selbst fördern und müßte deshalb gleichermaßen exponentieller
Steigerung unterworfen sein wie die Entwicklung der Maschinen. Es könnte
sein, daß an einem bestimmten Punkt der Entwicklung die jahrmilliardenlang
bewährten Kettenmoleküle auch als technische Informationsspeicher genutzt
werden und damit die Evolution der Lebewesen mit der Entwicklung der Maschinen
zusammenfließt. Die weitere Entwicklung würde von Lebewesen-Maschine->Chimären
übernommen; die wesentlichen Konkurrenzen würden nicht mehr zwischen
Menschen und Maschinen, sondern zwischen verschiedenen Typen von Chimären
ausgetragen werden. |
... In einer technisch-biologischen Chimärenwelt
ist der Auseinandersetzung die Spitze genommen. |
Die Vorstellung solcher
Chimären erscheint ungewohnt. Jedes Auto mit Fahrer ist aber schon heute eine
elementare Mensch-Maschine-Chimäre. Das heißt, die Entwicklung der
Chimären zwischen Lebewesen und Maschinen könnte kaum merklich in kleinen
Schritten ablaufen; der Alternative "Menschheit oder Maschinenheit"
wäre die Spitze genommen. |
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Entscheidend: Der Begriff des Lebens. |
Wir haben gesehen, daß verschiedene
ethische Haltungen möglich sind gegenüber der technischen Entwicklung
hin zu einer Maschinenheit, die die Menschheit an Komplexität überholt.
Alle können sich auf "Ehrfurcht vor dem Leben" berufen; die Unterschiede
liegen in verschieden weit gefaßten Begriffen von "Leben". Wir
haben auch gesehen, daß eine Isolation der Haltungen von den jeweils anderen
die Gefahr bringt, in Widersprüche zu geraten. Welche Möglichkeit ist
denkbar, um zu einer ethischen Haltung gegenüber diesen Haltungen zu kommen? |
Alle
Haltungen gegenüber der technischen Entwicklung verdienen als lebendige
Gebilde selbst Rücksicht - nicht anders als technische Systeme oder Lebewesen.
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Der Kunstgriff könnte darin
bestehen, ethische Haltungen selbst wie alle anderen geistigen Gebilde als
lebend zu betrachten, mit Stoff- und Energie-Umsatz und Evolution - nur
entsprechend feiner gewebt als ganze Lebewesen, Menschen oder Maschinen. Die
Ethik der Ehrfurcht vor dem Lebens kann dann auch hierauf angewendet werden;
sämtliche oben skizzierten Haltungen müßten dann als "Leben" mit
Ehrfurcht behandelt werden - auch wenn sie zunächst unverträglich mit
anderen Haltungen, ja sogar mit sich selbst erscheinen - ähnlich, wie ja auch
Giftschlangen, Krokodile oder Blutegel in ihrer Art Respekt verdienen. |
Abschließende Entscheidungen würden lebendige
Entwicklungen abschneiden. |
Eine abschließende
Entscheidung zwischen diesen Haltungen würde der einen Haltung Entwicklungsmöglichkeiten
öffnen, der anderen abschneiden, sie eventuell dem Aussterben preisgeben.
So etwas kann nicht vereinbar sein mit einer Haltung der Ehrfurcht vor dem
Leben. Jede der Haltungen müßte also eine entwicklungsfähige Nische zugestanden
bekommen - Maschinensturm, wie über sich selbst hinausschaffendes
Ingenieurs-Ethos, wie auch wohlwollende Neutralität gegenüber beiden. Insbesondere
kann diese nicht endgültig die Priorität gegenüber jenen beanspruchen.
Schließlich aber, im letzten Schritt, kann auch die eben skizzierte übergeordnet
neutrale ethische Haltung gegenüber verschiedenen ethischen Haltungen
nicht absolute Geltung beanspruchen, ohne wiederum Ausrottungsansprüche gegenüber
anderen Haltungen erheben zu müssen und so mit sich selbst in Widerspruch
zu geraten. |
Patentrezepte ergeben sich aus einer Ethik der "Ehrfurcht vor dem Leben" nicht. |
Eine konsequente Ethik der
Ehrfurcht vor dem Leben, angewandt auf die Probleme der technischen Entwicklung
führt also zu grundsätzlichen >Aporien, die sich zumindest
innerhalb dieser Ethik nicht lösen lassen - wobei sie allerdings von
vorneherein gar nicht diesen Anspruch erhebt. |
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Hass, H., Lange-Prollius,
H.: Die Schöpfung geht weiter. Stuttgart 1978 Moravec, H.: Mind Children. Cambridge, Mass. 1988 Schweitzer, A.: Kultur und Ethik. München 1923 Wesley, J. P.: Ecophysics. Springfield/Ill. 1974. |
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Begriffe, wie sie hier verwendet
werden |
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Aporie = Ausweglosigkeit (im Denken) Chimäre = Mischwesen Ehrfurcht
vor dem Leben = nach A. Schweitzer Grundprinzip des Sittlichen Energie = Fähigkeit eines dynamischen
Systems, Arbeit zu leisten. Einer der Grundbegriffe der Physik Energie-Erhaltungssatz = Satz von der Erhaltung der
Energie und damit der Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile 1. Art (einer
Maschine, die aus nichts Energie erzeugen kann). Gleichbedeutend mit der
Annahme der Gleichförmigkeit der Zeit. Auch "Erster Hauptsatz der Thermodynamik"
genannt. Entropiesatz = "Zweiter Hauptsatz
der Thermodynamik", Satz von der Unumkehrbarkeit der Zeit - unter
gängigen Bedingungen; gleichbedeutend mit der Unmöglichkeit, Ordnung
ohne Energieeinsatz zu schaffen, insbesondere der Unmöglichkeit,
ein "Perpetuum mobile" 2. Art zu bauen - eine Maschine, die
ohne Reibung läuft. Der Entropiesatz wird in verschiedenen Sprichwörtern
ausgedrückt, z.B.: "Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er
bricht". Ethik = Lehre vom Guten Evolution = Entwicklung, insbesondere
Entwicklung der lebenden >Systeme auf der Erde in gegenseitiger
Beeinflussung und unter Veränderung der inneren >Struktur Hauptsätze der Thermodynamik = >Energie-Erhaltungssatz
und >Entropiesatz. Information = Ungewißheit von
Ereignissen, zum Beispiel von Zuständen eines >dynamischen Systems oder
von Störungen aus der >Umwelt, gleichzeitig (bis auf das Vorzeichen) aber
auch das Wissen, das die Ungewißheit aufhebt. Einheit der Information: eine
Ja/Nein-Entscheidung (Bit). Komplexität = Vielfalt unterschiedlicher
Beziehungen in einem >System Konkurrenz = das Beanspruchen der gleichen
>Ressource durch zwei oder mehrere lebende Systeme. Leben = nicht einheitlich
definierter Begriff. Wesley (1974) definiert ´Leben´ als Eigenschaft von
>Systemen, die - zumindest >Energie mit ihrer >Umwelt austauschen, - deren >Elemente (Atome) nach ihrem Einbau in die Systeme
einen höheren Grad an räumlicher Ordnung (eine geringere Verteilungs-Entropie)
besitzen als vor ihrem Einbau, - die langfristig ihre Ordnung im Rahmen einer >Evolution
steigern (gleichbedeutend mit der Fähigkeit, >Information zu
speichern) Vereinfacht: Eigenschaft von
stofflich und energetisch offenen, geordneten, langfristig ihre >Ordnung
steigernden >Systemen lebendes System = (hier) dynamisches, >Energie
und Stoffe umsetzendes System, das eine langfristige Entwicklung zu höherer
Ordnung (>Evolution) zeigt Maschinenheit = Maschinenwelt (nur hier vorgeschlagenes,
künstliches Wort in Anlehnung an ´Menschheit´) Modell = Gegenstand, der mit einem
anderen Gegenstand - dem "Urbild" des Modells - Eigenschaften
oder Beziehungen gemeinsam hat. Kann zur Energie-Einsparung beim Erproben
von Verhalten in der >Umwelt benutzt werden. Mutation = Erschließen von
Möglichkeiten durch kleinste Veränderungen, insbesondere in der >Evolution Ökosphäre = der Raum, in dem sich Lebewesen
aufhalten - verallgemeinert Gesamtheit aller >dissipativen Systeme mit
ihrer stofflichen >Umwelt, die sich aus einem Energiestrom speisen. Perpetuum mobile = (lat.: "ewig beweglich")
eine Maschine, die entweder Energie aus nichts schafft - Perpetuum
mobile 1. Art, oder ewig ohne Reibung läuft - Perpetuum mobile 2. Art.
Ersteres widerspricht dem >Energie-Erhaltungssatz, zweiteres dem
>Entropiesatz, also den >Hauptsätzen der Thermodynamik. Beide
können demnach - in gängigen Bereichen der Physik - grundsätzlich nicht existieren Plan = Sollmodell Ressourcen = Energie, Rohstoffe, Boden und
andere Grundlagen für die Existenz eines lebenden Systems, insbesondere
menschlicher Gesellschaften. Science-fiction = Unterhaltende Zukunftsliteratur
mit Einbeziehung wissenschaftlicher Konzepte Selektion = Auslese, Vernichtung von
Möglichkeiten, insbesondere in der >Evolution. Gegensatz: >Mutation Stafettenübergabe = (hier) Ablösung der
Menschheit durch die >Maschinenheit im Laufe der >Evolution Strategie = ursprünglich Kriegskunst.
Verallgemeinert allgemeine Linie eines lebenden Systems für die Auseinandersetzung
mit seiner >Umwelt. System = Gesamtheit von Elementen,
die untereinander, bei offenen Systemen auch mit ihrer >Umwelt, in
Beziehung stehen. technisches System = planmäßig hergestellter Gegenstand:
Bauten, Leitungsnetze, Geräte, Maschinen, Automaten, Roboter, auch Computerprogramme Umwelt = im allgemeinen Sinn Gesamtheit
aller Systeme, die mit einem bestimmten System in Beziehung stehen. Im
engeren Sinn = die Gesamtheit der natürlichen Systeme, die mit der menschlichen
Zivilisation in Beziehung stehen, also Gestein und Boden, Gewässer, Lufthülle,
Pflanzen- und Tierwelt. |
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