Wolfgang Tomášek

 

 

 

Umwelt als Mitwelt - Öko-Ethik?

 

Öko-Text

 

3

 

Stand 1.9.2001

 

 

 

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(Vortrag November 1991 in München. Veröffentlicht in "Gestalt finden für die tägliche Umwelt: ´Ökodesign´ geht uns alle an. München: Urbanes Wohnen 1992)

 

 

 

Vorbemerkung: Neues "Biotop" für Öko-Ethik

 

 

 

Fünf Thesen zu Öko-Ethik

 

 

 

These 1: Öko-Ethik als Haushalts-Ethik

 

These 2: Umwelt als Mitwelt

 

These 3: Maschinen als Subjekte

 

These 4: Grenzen der Ethik

 

These 5: Sta­fettenübergabe von Menschen auf Maschinen

 

 

 

Quellen

 

 

 

Begriffe: Anklicken der im Haupttext mit ">" markierten Begriffe führt zur Erläuterung. Nochmaliges Anklicken des Begriffs bei der Erläuterung führt zurück zur Lesestelle.

 

 

 

 

 

 

Diskussion über Ethik

ist aktuell.

 

 

 

 

Vorbemerkung: Neues "Biotop" für Öko-Ethik

 

>Ethik ist Mode gewor­den. Da werden Ethik-Semi­nare ab­gehalten, Lehr­stühle für Wirt­schafts­ethik einge­richtet; Mana­ger las­sen sich von >Gurus un­terwei­sen. Mein Thema ">Um­welt als Mitwelt - >Öko-Ethik?" scheint also "im Trend" zu liegen. Das hat einen Grund: Wenn die Be­grenztheit der ganzen Erde als >Res­sour­cen-Füll­horn, Waf­fenkammer oder Ab­fall­kübel erfahren wird, kommt man mit bisher be­währten Hand­lungs­kri­te­rien zur Abfuhr von Man­gel, Gefahr und Un­ordnung in Schwie­rig­kei­ten. Wohl auch deshalb hat sich ein "Nährbo­den" für Ethik-The­men gebil­det, und auch in einer Vor­trags­reihe wie dieser hat sich ein ">Bio­top" dafür eröffnet.

 

 

 

 

Fünf Thesen:

Fünf Thesen zu Öko-Ethik

 

 

 

Was ich sagen will, habe ich in fünf Thesen über Öko-Ethik zusam­men­ge­faßt. Sie lau­ten:

 

 

Haushalts-Ethik

 

1.  Öko-Ethik fängt im Alltag an und ist zu­nächst einmal Haushalts-Ethik.

 

Umwelt als Mitwelt

 

2.  Öko-Ethik läßt sich sprach­lich ein­fach fas­sen, wenn man den Be­griff des >Le­bens - oder auch des >Sub­jektes - ver­all­gemei­nert. For­mel­haft ver­kürzt: "Um­welt als Mit­welt".

 

Maschinen als Subjekte

 

3.  Eine derart verallge­meinerte Ethik schließt Kul­tur­gegenstände und tech­ni­sche >Syste­me als Sub­jekte mit ein. >Äs­thetik erscheint dann als Spe­zial­fall von Ethik.

 

Grenzen der Ethik

 

4.  Öko-Ethik hebt, uni­versell ge­dacht, sich selbst auf. Überle­bens­fähige Ethik muß sich selbst be­schrän­ken.

 

Ethik der Technik

 

5.  Öko-Ethik könnte schon bald die Ethik tech­nischer Sub­jek­te un­ter­ein­an­der und gegen­über der bio­lo­gi­schen Welt ein­schließ­lich der Men­schen sein.

 

Ich werde versuchen, die­se Thesen etwas nä­her zu begrün­den. Da­bei möchte ich über Ethik reden; das ist etwas ande­res als Ethik predi­gen.

 

 

 

Zunächst ein Blick ins vielfältige >Ökosy­stem der Ethik-Begriffe und Ethik-Ideen:

 

Ökosystem der Ethik-Begriffe und Ethik-Ideen - mit mannigfachen Gegensätzen

 

 

 

Ethik heißt "Sittenlehre" oder "Lehre vom rech­ten Tun" oder "Kri­te­rien des eigenen Handelns" oder auch zy­nisch "was einer zu seinem Tun da­zure­det". Schon über den Be­griff der Ethik be­steht keine Ei­nigkeit - so we­nig wie über ir­gend einen anderen philosophischen Be­griff. Im Ge­genteil: Wenn einer eine These auf­stellt, kom­mt flugs ein anderer und konstru­iert dazu eine Alter­native; es bil­det sich sozusa­gen ein öko­lo­gi­scher Gegen­spieler und so fort.

 

Da wird unterschieden zwi­schen Gesin­nungs- und Er­folgs­ethik, zwi­schen sub­jek­tiver und inter­sub­jek­tiver Ethik, zwis­chen Individual-­ und >Sozial­ethik, zwischen "Ethik", ">Moral" und ">Ethos" - oder es wird eben nicht unter­schie­den.

 

Da geht es um Rechte und Pflich­ten, um ethi­sche Sub­jekte und >Ob­jekte, um Inter­essen, Strebun­gen und Gerich­tet­hei­ten. Die einen se­hen den Sinn von Ethik darin, menschli­ches Han­deln möglichst ratio­nal zu machen und notfalls eine um­fassen­de >Ka­suistik aufzu­stel­len. Die anderen leh­nen so etwas ab und wollen nur eine po­ten­tiell gren­zen­lose Ethik der Hingabe gelten lassen.

 

Da wird eine eigene Logik ethi­scher Sprach­gebilde entwickelt, die sich von der Aussagen­logik unterscheidet: Aus dem Sein ergibt sich logisch kein Sollen. An­dere wie­derum wollen genau diese Unter­scheidung von Sein und Sollen über­winden und suchen einen Direkt­zugang zu um­fassen­der Welter­kennt­nis und damit zu Ethik. Manche stel­len über­haupt die An­wen­dung von Logik in der Spra­che der Ethik in Frage und weisen dar­auf hin, daß sogar wi­der­spruchsvolle Sätze in einem über­geordneten Zu­sammen­hang Sinn gewinnen kön­nen.

 

Insgesamt erscheint Ethik als ein "Öko­sy­stem" der ethi­schen Begrif­fe, Ideen, Kon­zepte. Jede Idee über­lebt in ihrer Umwelt, und alle anderen Ideen im Ideen-Ökosy­stem sind Bestandteil dieser Um­welt. Das Ideen-Ökosy­stem zeigt >Energie- und Stoff­umsatz, etwa im Gehirn, im Compu­ter, bei Schrift, Druck und Ver­viel­fältigung. Es zeigt Werden und Ver­gehen, >Konkur­renz und >Sym­bio­se. Dieses Öko­sy­stem->Mo­dell könnte selbst ethisch wirken, uns nämlich eine ge­wisse, sozusa­gen na­tur­schüt­zeri­sche Tole­ranz nahelegen im Um­gang mit den Vorstellungen anderer Leute, auch wenn wir diese Vorstellungen nicht teilen.

 

 

 

Verschiedene Ansätze für "Öko-Ethik"

 

Öko-Ethik: Ethik unter Berücksichtigung ökolo­gischer Zusammenhän­ge?

 

 

 

Was könnte aber "Öko-Ethik" sein, wenn kein ethi­scher Begriff, nicht einmal "Ethik" selber allgemein­verbindlich fest­gelegt werden kann? Es gibt eine ein­fache Art, Öko-Ethik zu defi­nie­ren, nämlich als Ethik - wie auch immer gefaßt - unter Berück­sichti­gung ökologi­scher Zusammen­hänge. Das ist eine Ver­knüp­fung von alter Ethik mit neu­em Wissen; die Dis­kus­sion ver­la­gert sich fast gänzlich auf das neue Wissen. Ob aber dann ein neu­es Wort wie "Öko-Ethik" nötig ist, das kann man be­zwei­feln.

 

Oder ökologische

Sy­stemeigenschaften

als Werte?

 

Ein anderer Weg wäre, irgendwelche ökolo­gisch defi­nier­ten System­ei­gen­schaften - ">Gleich­gewicht", ">Sta­bi­lität", "ge­schlossene >Stoff­kreis­läu­fe",  "Ener­gie-Spar­sam­keit", "öko­lo­gi­sche Viel­falt" usw. zur hinrei­chen­den Richt­­schnur für Ethik zu machen, in­dem man solche zunächst wis­senschaft­lich wert­neutralen Begriffe offen als Werte auf den Altar hebt oder indem man ih­nen schlei­chend die eigene Ethik unter­schiebt. Das kann man dann ohne Wider­spruch machen, wenn man die Unter­scheidung von Sein und Sollen nicht aner­kennt. Ich möchte das hier nicht weiter verfol­gen; es ist nicht mein Stil; mir ist bei einem sol­chen Vorge­hen un­be­haglich, auch wenn ich ihm durch­aus eine >öko­logische Ni­sche zuge­­ste­he.

 

Oder Rückwirkung von Ökologie auf ethiscche Begriffe?

 

Interessant finde ich es aber dann, wenn die Rück­wir­kung neuar­tiger ökologischer Vorstellun­gen auf die ethi­sche Be­griffs­­­­­bil­dung mit in die Über­legung einbe­zo­gen wird. Erst dann, meine ich, würde sich ein neu­er Begriff wie "Öko-Ethik" wirklich lohnen.

 

Einschub: >Rückkopp­lung zur all­täglichen Erfah­rung

 

Bevor ich aber nun wei­terfahre bei der Diskus­sion ethi­scher Begriffe, möchte ich zu dem rück­kop­peln, wo sich jeder auch ohne Begriffe aus­kennt, näm­lich der Welt des All­tags. Sie ist Ge­gen­stand meiner

 

 

 

These 1: Öko-Ethik als Haushalts-Ethik

 

 

 

Öko-Ethik fängt im Alltag an und ist zu­nächst ein­mal Haus­halts-Ethik

 

 

Büro-Alltag enthält

Mo­delle von (umwelt-) ethi­schen Situationen

 

 

 

Ich möchte hierzu in Gedanken "Stil­leben" auf­bauen aus dem Bü­ro-All­tag, auch als Mi­nia­tur­modelle für Um­welt­sünden im Gro­ßen und damit um­ge­kehrt für Öko-Ethik in grö­ßeren Zu­sam­men­hän­gen:

 

-    Große Bö­gen fri­sches Pa­pier ver­schwen­det für kleine Noti­zen; Viele Filz­schrei­ber glei­cher Far­be gleich­zeitig in Benut­zung; Filz­schrei­ber und Kle­be­stifte of­fen vor sich hin­trock­nend, Brote im Papier­korb: Pro­blem Ressour­cen­ver­schwen­dung.

 

-    Zigaretten­asche im Altpa­pier;  Lo­cher-Kon­fetti zwi­schen Ge­räten ver­streut, Heft­klam­mern ein­ge­krallt im Tep­pich­bo­den, Kaf­feeränder auf den Ti­schen: Pro­blem Müll und Um­welt­ver­schmut­zung.

 

-    Papierstapel mit ver­schobenen Kanten; Kaf­fee­tassen auf Bü­chern oder Dis­ket­ten; Offenes Schneidgerät zwis­chen Schreib­ge­rät, Blu­mentöpfe hart an der Tisch­kante: Pro­blem Raum­ord­nung.

 

-    Ein Plakat oder ein Plan schlampig schräg an­geklebt: Um­welt­­­­­äs­the­­tik.

 

 

Auch Ethik bildet sich

ur­sprünglich im Alltag.

 

Wie gehen wir mit un­serer All­tags-Um­welt um? Mei­stens, wie wir erzogen wur­den, vor allem von unseren Müt­tern. Wir ha­ben die Regeln des Um­gangs mit der täglichen Um­welt über­wiegend nicht mit rationalen Be­grün­dungen, sondern aus Beispie­len und Verboten gelernt. Auch später müs­sen wir uns in wei­ten Berei­chen noch ebenso, so­zusagen kindlich verhal­ten, ohne Trennung von >Theorie und Pra­xis, ohne sprach­li­che Begrün­dung.  Erst wenn wir - etwa in einem Büro - mit ande­ren Leuten zu­­sam­­menarbeiten, die eine ande­re Er­ziehung hinter sich haben, suchen wir Gründe und ver­su­chen, sie sprach­lich mit­zutei­len, also eine sprach­lich formu­lierte All­tags-Ethik zu unse­rem Ver­halten dazu­zuent­wickeln. Insgesamt ahnen wir, daß eine Vielzahl un­serer Verhal­tens­krite­rien im gro­ßen Rahmen ratio­nal ist oder zu­min­dest seinen Sinn hat, auch wenn wir noch kein sprachli­ches Modell dafür greif­bar haben.

 

Öko-Ethik ursprünglich Haushalts-Ethik?

 

 

 

Wir unterstellen zum Beispiel, daß die mei­sten Hausfrauen "haus­häl­te­risch" mit den Dingen um­ge­hen, weil Raum und Res­sourcen in einem Haus­halt ähn­lich be­grenzt sind wie auf der Erde im Gro­ßen. Deshalb kann man vielleicht in erster An­nähe­rung sagen: Öko-Ethik ist Hausfrau­en- und Haus­män­ner-Ethik, oder allgemein Haus­halts-Ethik. Die Be­grenzt­heit wahr­zu­nehmen und damit zurecht­zu­kom­men führt zu ent­spre­chen­den komple­xen An­passungsformen.

 

 

 

Frage nach unse­ren Moti­ven

 

Auf wen oder was neh­men wir im Umgang mit unserer Alltags-Umwelt Rücksicht?

 

Warum aber oder wem zuliebe oder mit Rück­sicht auf wen oder was gehen wir so und so mit unse­rer tägli­chen Um­welt um?  Wem zu­lie­be werfen wir kei­ne noch eßba­ren Le­bens­mit­tel in den Papier­korb? Wem zuliebe mi­schen wir keine Ziga­ret­ten­asche mit Altpa­pier, keine Rasier­klin­gen mit Schreibge­rät? Wem zulie­be schließen wir Klebe­stif­te und Filz­schreiber nach Ge­brauch? Warum tut es uns weh, einen Stapel fri­sches Pa­pier mit verscho­benen und deshalb gefähr­de­ten Kanten zu sehen, oder eine Kaffee­tasse auf Bü­chern oder Com­puter-Dis­ket­ten?

 

- auf uns selbst?

 

Uns selbst zulie­be? Das mag zum Bei­spiel bei offe­nen Rasier­klingen im Federschäl­chen der Fall sein. Wir ver­meiden so et­was, um nicht selber einmal in der Eile in eine Rasier­klinge zu grei­fen. Die Tren­nung von Asche und Altpa­pier kann Vor­sorge da­gegen sein, daß wir uns selbst mit Zi­ga­ret­ten­asche bestreuen, wenn wir das Alt­pa­pier in den Container stopfen. Auch das Pla­kat an der Wand hängen wir uns sel­ber zuliebe gerade und nicht schief an.

 

- auf unsere Kollegen?

 

Wir könnten sowas aber auch der Putzfrau zuliebe tun, die den Pa­pier­korb für uns leeren muß. Oder den Kol­legen im glei­chen Büro zulie­be, denen wir - etwa auf gemein­sam benutz­ten Arbeitstischen - nicht eine mit Klebstoff ver­schmier­te Ar­beitsfläche oder schmutziges Geschirr oder ver­welkte Blu­men­sträuße in stin­kendem Was­ser hinter­lassen wollen.

 

- auf unsere Familie, unsere Firma? Auf die Menschheit?

 

 

 

Es mag in unse­rem eigenen Inter­esse oder in dem unse­rer Familie oder Firma sein, haus­häl­terisch mit den Ge­gen­stän­den um­zuge­hen. Keine Lebens­mit­tel zu ver­geuden könn­te aber auch eine Geste be­deu­ten ge­gen­über den Kin­dern, die täg­lich auf der Erde ver­hungern.

 

Mit all solchen Motiven bewegen wir uns immer noch im Be­reich kon­ventioneller Ethik. Dazu bräuchte es nicht so etwas wie "Öko-Ethik".

 

- oder auf die Gegen­stände selbst?

 

Oder aber ist es eine Rücksicht auf die Ge­gen­stän­de selbst, die uns "behutsam", "pfleg­lich", "rück­sichts­voll" mit ihnen um­gehen läßt? Emp­fin­den wir vielleicht die Ge­genstände unse­res täg­lichen Um­gangs als ir­gendwie "le­be­ndig" oder gar "be­seelt"? Fühlen wir vielleicht so ähnlich wie die Alten, die Quellen und Bäche, Wolken und Wind und auch ihre Häu­ser belebt und beseelt gedacht haben? Haben wir nicht der­artige Aus­drücke in unserer Spra­che: "Dein Auto lebt ja im­mer noch!" oder "ein altes Haus lebt"?

 

Erst damit kommen wir, glaube ich, in den Zentral­be­reich, wo "Öko-Ethik" erst wirk­lich inter­es­sant werden könnte. Mit diesem Gedanken ge­hen wir wieder zurück vom Bü­ro-Alltag in un­ser Ethik-Ideen-Öko­sy­stem.

 

 

Verschiedene Bezugs­rahmen für ethische Rück­sichten ...

 

Klaus Meyer-Abich zum Bei­spiel bie­tet (1988/89) eine Ska­la von ethi­schen Krite­rien, als Skala von Subjek­ten, auf die wir ethi­sche Rück­sicht üben können:

 

-    Rücksicht auf uns selber: Ego­zentri­sche Ethik,

-    Rücksicht auf Fami­lie oder Un­terneh­men: Ethik des "ho­mo oe­conomi­cus",

-    Rücksicht auf die Nation: Natio­nalis­mus,

-    Rücksicht auf alle Mitmen­schen: >Hu­ma­nis­mus,

-    Rücksicht auch auf künftige Genera­tio­nen: Er­weiterter Hu­manismus,

-    Rücksicht auch auf schmerz­emp­fin­dende Tie­re: Ethik des Tier­schutzes,

-    Rücksicht auf alles Leben: Ethik der >Ehr­furcht vor dem Leben,

-    Rücksicht auf die Natur als Ganzes: >Holis­mus.

 

Mit Fortschreiten auf der Skala wird der Gel­tungs­bereich von Ethik immer umfas­sender.

 

 

... vielleicht alle als Be­grün­dung ethischen Handelns möglich ...

 

 

 

Aber welche Moti­ve aus einer solchen Skala von Rück­sichten wie der von Meyer-Abich leiten uns denn wirklich in unse­rem Umgang mit der alltäg­li­chen Um­welt? - Ich vermute, daß es mehrere gleich­zeitig und in Über­lagerung sind, und daß der An­teil der Motive je nach Situation verschieden ist, viel­leicht sich auch im Laufe des Le­bens ver­ändert, und vor allem bei ver­schiedenartigen Leuten ver­schieden ist. Das was bei die­ser Überlagerung her­aus­kommt, könn­te auf den er­sten Blick irra­tio­nal, bei ge­nauerem Aus­ein­ander­fä­deln der Motive ra­tio­nal sein; selbst der Anteil der ver­schie­denen Moti­ve kön­nte letzt­lich rational ge­deutet wer­den. Das braucht aber nicht zu verhin­dern, daß auch ir­ra­tionale Elemen­te in unse­rem Ver­hal­ten sind, wo wir ein­faches Pro­bieren unter­stellen können.

 

 

Be­grün­dungen des Han­delns nach Sprach-Öko­no­mie

 

... in ihrer jeweiligen "ökologischen Ni­sche"?

 

Ich vermute auch, daß eventuell je­des der Motive al­lein zu einer Be­grün­dung her­an­gezo­gen werden kann für alle un­sere Ent­schei­dun­gen. Ich kann, wenn ich mich ge­nügend an­strenge, alles, was ich tue, etwa mit Nützlich­keitsge­sichts­punk­ten be­grün­den, oder alles mit der Rück­sicht auf die Ah­nen oder mit der Rück­sicht auf die den Din­gen in­ne­woh­nende Seele. Solche Be­grün­dungen werden aber in ver­schie­de­nen Zu­sam­men­hängen ver­schie­den lang und manchmal sehr um­ständlich. Des­halb kön­nen wir an­neh­men, daß jede der Begrün­dungen ihre "öko­logische Nische" hat, wo sie ethi­sches Handeln knapper be­gründet als ihre Kon­kur­ren­ten, daß es rela­tiv schmale Über­lagerungsbereiche gibt, wo meh­rere Be­grün­dun­gen nahe­zu gleich ge­eignet sind - daß es auch auf den Sprech­zusammenhang an­kommt, wo eine sol­che Beg­rün­dung auf­taucht. Vermut­lich kann so etwas wie Öko-Ethik zunächst ohnehin nur in einem ganz engen Be­reich der Kom­munikation Wurzeln fassen.

 

 

Allerdings: Rücksicht auf "die Na­tur als Gan­zes" frag­würdig

Ich selber würde die letzte Stufe Meyer-Abichs, die Rück­sicht auf die Natur als Gan­zes, weglas­sen, weil daraus nach mei­ner Einschätzung kei­ner­lei Hand­lungskrite­rien ab­ge­leitet werden kön­nen. Mir ist der Über­gang von überschaubaren Teil­mengen zu einer Art ">All­men­ge Na­tur" lo­gisch nicht plau­si­bel. Ich ver­mute, daß eine Ethik der Ehr­furcht vor dem Le­ben aus­reicht, um das zu be­schreiben, was hin­ter einem Be­griff wie "Öko-Ethik" ge­ahnt wird und daß es nicht nötig ist, einen Allbe­griff wie "Na­tur als Ganzes" zu verwen­den - obwohl ich auch hier zugebe, daß All-Begriffe sicher man­chem sehr liegen und in bestimm­ten Sprech­zu­sam­menhän­gen gut über­­leben können.

 

 

 

These 2: Umwelt als Mitwelt

 

 

 

"Öko-Ethik läßt sich sprachlich re­lativ ein­fach fas­sen, wenn man den Begriff des Lebens oder auch den Begriff des Sub­jek­tes verallge­meinert. In einer un­scharfen For­mel globali­siert: "Um­welt als Mit­welt".

 

 

 

Als Albert Schweit­zer, wie schon vor ihm Ma­gnus Schwantje, den Be­griff "Ehr­furcht vor dem Le­ben" als Aus­druck für den In­halt einer um­fas­senden Ethik for­mu­lierte (die vor­letzte Stufe auf Mey­er-Abichs Ska­la), da standen noch nicht die heute gängigen Begrif­fe aus Evo­lutions­theo­rie, >Öko­logie und >Syn­erge­tik zur Ver­fügung.

 

 

Wenn "Ehrfurcht vor dem Leben" als Grund­lage gewählt wird ...

 

Abgesehen davon, daß uns der Be­griff "Ehr­furcht" vielleicht etwas anti­quiert klingt, und wir ihn viel­leicht in wei­ten Berei­chen durch "Ach­tung", "Rück­sicht" oder "Re­spekt" ersetzen würden, hat der Begriff des Lebens inzwis­chen eine Präzi­sie­rung und gleichzeitig Verall­gemei­nerung er­fah­ren. Im we­sentlichen kann er auf den Begriff für >Ord­nung und Un­ord­nung (ge­nauer den der >En­tropie) zurückge­führt und damit einer phy­si­ka­lischen Deutung zu­gäng­lich gemacht wer­den.

 

 

Ökophysikalischer Le­bensbegriff als allge­meine Grund­la­ge

 

... kann der Begriff des Lebens verallgemeinert werden, ...

 

Der Ökophysiker James Paul Wesley etwa de­fi­niert (1974) "Le­ben" als Eigen­schaft von Sy­stemen, die

 

1. offen sind und Energie oder Ma­te­rie mit ih­rer Um­welt aus­tau­schen,

 

2. zusammengesetzt sind aus Baustei­nen, deren ge­gen­sei­tige Ord­nung nach ihrem Einbau in die Systeme höher ist als vor­her (genauer, deren Verteilungs-En­tropie nach dem Einbau geringer ist),

 

3. teilnehmen an der Ordnungszunah­me (En­tropie-Ab­nahme; >Evolu­tion) über lange Zeit­räu­me in einem überge­ord­neten Sy­stem, einer ">Öko­sphäre".

 

 

 

Auch geologische oder tech­­ni­sche Systeme kön­nen als be­lebt be­trach­tet werden

 

... so daß er auch technische Systeme umfaßt.

 

 

 

Eine solche Defi­ni­tion von "Leben" ist allge­mei­ner als eine der üblichen, im en­geren Sinne bio­logi­schen Defi­ni­tio­nen. Sie er­laubt, bei Be­trach­tung über hin­rei­chend lange Zeit­räume, sowohl geologi­sche als auch techni­sche Systeme und so­gar gei­sti­ge Gebilde als "le­ben­dig" zu defi­nieren - wie es im übri­gen auch die Um­gangs­spra­che tut ("ein täti­ger Vul­kan", "Lebenszeit eines Autos", "eine le­bende Spra­che", "le­ben­dige Ideen", usw.) und wie ich sel­ber es vor­hin mit dem Be­griff "Ideen-Öko­sy­stem" getan habe. Folge­richtig betrach­tet Wesley Le­ben als eine "all­tägliche Er­scheinung" im Uni­ver­sum.

 

 

Verschiedene Zeit­skalen der Leben­digkeit

 

 

Allerdings hat es nur dann Sinn, von "Le­ben" zu spre­chen, wenn man es abheben kann von etwas, was man zumin­dest nicht im gleichen Atemzug als "le­ben­dig" be­zeichnen möch­te, weil es in ganz anderen Zeit­räu­men "leben­dig" ist. Ein Stein­bock ist zum Beispiel viel "le­bendiger" als das Ge­birge, in dem er her­um­klettert, obwohl es sich gerade auf­fal­tet, was, in einem entspre­chenden Zeit­raffer be­trach­tet, recht drama­tisch er­schie­ne. Wir sind viel leben­diger als das Haus, in dem wir uns tref­fen, ob­wohl auch dieses, mit Zeit­raf­fer ge­filmt, leben­dig er­scheinen wür­de.

 

Mit einem solcher­art erweiterten Lebens­be­griff würde sich auch formal der An­wen­dungsbe­reich einer Ethik der "Ehr­furcht vor dem Leben" er­weitern.

 

 

Ähnlich wie "Le­ben" läßt sich "Subjekt" verallge­mei­nern

 

Und wie steht es mit der Verallgemeinerung des "Subjekt"-Begriffs?

Ähnlich wie der Begriff des Lebens läßt sich der Be­griff des Sub­jektes verallge­mei­nern . Wenn ich nicht das ganze Uni­ver­sum nur auf "den" Men­schen als künstlich kon­struier­tes Sub­jekt oder konse­quenter nur auf mich allein be­ziehen soll, wenn ich überhaupt die Existenz der Welt vor mei­ner Lebens­zeit an­neh­men will, muß ich mögli­che Er­kenntnis und da­mit Subjekte auch vor dieser Le­bens­zeit an­nehmen. Und dann brau­che ich nur weit genug zurück­gehen und komme dazu, bei jeder Wechsel­wirkung, also auch bei den kleinsten Ele­men­tar­teilchen, eine In­forma­tion­s­über­tra­gung an­zu­nehmen und des­halb auch ein Subjekt, das >In­for­mation übertra­gen be­kommt. Ohne Subjekte, die In­for­ma­tion erhalten können, ist es (fast) müßig, von Exi­stenz zu sprechen. Und da auch diese Sub­jekte nur dann existent wer­den, wenn sie zu Ob­jekten ande­rer Sub­jekte wer­den, kann alles, was ist, als Sub­jekt oder als Objekt betrachtet wer­den. Mit ähn­lichen Ver­allge­mei­ne­rungen wer­den auch die übli­chen Haar­spaltereien um "freien Wil­len", "Mensch­sein", "Bewußt­sein", "Schuld­fä­hig­keit" relativiert bzw. zur Defi­ni­tions­sache.

 

 

 

These 3: Maschinen als Subjekte

 

 

 

Eine Ethik mit einem erweiterten Lebens- oder Sub­jekt­­begriff würde auch Kultur­ge­gen­stände und tech­ni­sche Syste­me als Sub­jekte mit ein­schlie­ßen. Äs­the­tik er­scheint dann als Spe­zialfall von Ethik.

 

 

 

 

Wir sind nicht nur mit den Pflanzen und Tie­ren, son­dern in allge­meiner Weise auch mit unseren Werk­zeu­gen ver­wandt.

 

 

 

Sind wir mit unseren Geräten und Maschinen ver­wandt?

 

Die bis­her meist indirekt be­gründete Ethik des Um­gangs mit Kulturgü­tern, etwa im Bereich Denk­mal­schutz, läßt sich mithilfe eines erweiter­ten Lebens­be­griffs als Spe­zialfall der Ethik der Ehr­furcht vor dem Le­ben und damit ele­men­tar dar­stel­len. Ästhetik er­scheint dann nicht mehr als der Ethik gleich­geordnet, son­dern als ele­men­tare Ethik ge­gen­über besonders fein­ge­web­ten leben­den Struk­tu­ren. Man würde nicht nur wahr­nehmen, daß man mit jedem Dackel ein ge­mein­sames Vorel­ternpaar hat, son­dern so­gar in sehr allge­meiner Weise mit Tisch und Stuhl, mit Hammer und Säge ver­wandt ist, ins­be­sondere wenn man diese Geräte als Glie­der in ihrer Kette von Ge­nera­tio­nen be­trachtet. Man würde, wenn man nur genau genug hinschaut, von "In­ter­es­sen", zumin­dest von "Über­lebens­inter­es­sen" einer Maschi­ne, ei­nes Autotyps, ja sogar - von Far­ben, Formen, Melo­dien spre­chen kön­nen.

 

 

Modell Computervi­ren: Neue Arten von Leben

 

Auch im Computer ist Leben möglich.

 

Daß das nicht gar so abstrus ist, wie es viel­leicht man­chem zu­nächst scheinen mag, dafür sind die >Com­pu­ter­viren eine ak­tuelle Illu­stration, ins­be­son­dere dieje­nigen, die so, wie sie überle­ben, nicht konstru­iert wur­den, sondern spontan durch zufäl­lige Kom­bina­tion kon­stru­ierter Bau­steine ent­stan­den sind. Vor unse­ren Augen ent­wickelt sich aus den Schmutz­ecken der >Soft­ware in unse­ren Com­pu­tern eine neue Art von Le­ben!

 

Albert Schweitzer for­der­te Ehrfurcht auch ge­gen­über "meta­phy­si­schem Le­ben", "rette­te" zum Bei­spiel alte Orgeln vor der Ver­nichtung. Viel­leicht würde er heu­te die Pflege von Ar­chiven für Computervi­ren in un­schädli­cher Form be­fürworten.

 

 

 

Ökodesign als Ent­wurf und Ge­staltung aus und mit le­ben­den Ele­menten

 

Begriff des Ökodesigns mit verallgemeinertem Lebensbegriff koppeln?

 

 

 

Wenn ">Design" mit "Entwurf", "Formge­bung", "Ge­stal­tung" übersetzt wer­den kann, dann ist De­sign in je­dem Fall eine Ord­nung von Elemen­ten. Um eine ver­allge­mei­ner­te Öko-Ethik auf so etwas wie ">Ökode­sign" anwen­den zu können, müßten die Ele­mente des Ge­stal­tungs- und Ord­nungs­pro­zes­ses als le­ben­dige Ein­heiten definiert oder zu­min­dest er­lebt werden - mit Über­lebens­inter­essen, darüber hinaus mit In­ter­essen an "Ent­fal­tung", Ver­meh­rung und an der Wei­tergabe des zu­grun­delie­genden Pro­gramms in die Zu­kunft, weiter an Ener­gie­gewinn  und  Ener­gie-Ein­sparung, schließ­­lich an Sym­bio­sen und ande­ren Möglich­kei­ten, die Energie­öko­no­mie zu verbes­sern.  "Öko­de­sign"  wäre  dann "Entwurf und Ge­stal­tung aus und mit le­ben­den Ele­men­ten", auch wenn diese gän­gi­ger­weise bis­her als un­belebt ein­gestuft wurden. 

 

Damit haben wir also eine sehr allgemeine Öko-Ethik skiz­ziert - einen Extrem-Ent­wurf so­zusa­gen - so all­ge­mein, daß wohl vielen inzwi­schen recht unbe­haglich ge­wor­den ist. Des­halb möch­te ich den ethi­schen Turmbau gleich wieder - nun; nicht ein­rei­ßen, sondern ihn von der ande­ren Seite als so et­was wie einen Brunnen­schacht betrachten, in den man auch hineinstürzen kann. Das ge­schieht mit der folgenden

 

 

 

These 4: Grenzen der Ethik

 

 

 

Öko-Ethik hebt, zuende gedacht, sich selbst auf. Über­lebensfähige Ethik be­schränkt sich selbst.  

 

 

Prinzipiell grenzenloser Anspruch von Ethik stößt auf irdische Be­grenzungen

 

 

 

Die Erde und der Son­nenstrahl, der sie trifft, ist be­grenzt. Stoff-, Ener­gie- und Zeit­res­sour­cen für Le­be­wesen wie auch für techni­sche Sy­steme sind be­grenzt. Die Mög­lichkeiten für eine ethi­sche Rücksicht­nahme haben wir aber eben mit der Ver­all­gemei­ne­rung der Begriffe des Lebens und des Sub­jektes als prin­zipiell un­be­grenzt skiz­ziert.

 

 

Ordnung zu erhal­ten und steigern erfordert Ver­nich­ten von Ordnung an einem anderen Punkt.

 

Ordnung braucht

Export von Unordnung ...

 

Jede ordnungs­erhal­ten­de und ord­nungs­steigernde Tä­tigkeit - zum Bei­spiel das Rei­ni­gen eines Ge­gen­stan­des - ver­braucht aber selbst Energie und er­zeugt Un­ordnung in seiner Um­ge­bung. Die Energie muß an­de­ren le­benden Syste­men, ob nah oder fern, wegge­nommen, zu­mindest vorent­hal­ten wer­den; die Un­ord­nung muß anderen Sy­ste­men auf­gebürdet werden. Es ist also unter irdis­chen Bedin­gun­gen nicht mög­lich, an einem Punkt Ehr­furcht vor dem Leben zu üben, ohne genau damit an einem an­deren Punkt dagegen zu ver­stoßen. Des­halb ist die Decke prinzipi­ell immer zu kurz; immer wie­der muß eine Rück­sicht hintange­stellt wer­den, müssen auch tech­ni­sche Gebilde ver­nich­tet oder vernach­lässigt, Un­ord­nung zu­gelassen wer­den. Jeder Denkmalpfleger, Mu­seums­di­rektor, Brief­mar­ken­sammler kennt die Schere zwi­schen dem als prinzipi­ell un­be­grenzt empfun­denen ethischen Impuls und den ebenso prinzipiell be­grenz­ten Möglichkeiten, ähn­lich wie auf an­de­ren Gebie­ten je­der So­zial­arbeiter, Politiker, Natur­schüt­zer.

 

... Entropiesatz als moderne Vorstellung von "Erbsünde"?

 

Vielleicht ist das eine ökologi­sche Fassung des Kon­zeptes von der Erb­sün­de oder um­ge­kehrt die­ses ein Spe­zialfall des >En­tro­piesat­zes. Wenn der Bezugs­rah­men nur genü­gend groß gewählt wird, kommt Ethik ans Ende. Ver­mut­lich muß auch Ökode­sign als an­ge­wandte Öko-Ethik irgend­wo Au­gen, Ohren oder Nase schließen, muß sie Rück­sicht durch Rück­sichtslosig­keit ersetzen - wenn sie über­leben will.

 

Ethik dürfte vor dem Ideen-Ökosystem nicht haltmachen ...

 

 

 

Könnte man aber nicht auf die sublime Ebene der Ideen aus­weichen, etwa im Sin­ne von "Mitein­an­der sprechen statt auf­einander schie­ßen"? Auch im Ideen-Ökosy­stem müssen wir, wenn wir be­stimmte Ideen pfle­gen, hegen und ihre Ent­fal­tung fördern wollen, an­deren Ideen zumin­dest Chan­cen ab­schneiden, oder sie gar in den Bank­rott trei­ben. Der Frie­den mit kriege­ri­schen Ideen zum Beispiel fällt auch dem fried­lichsten Frie­dens­kämpfer schwer.

 

 

Überlebensfähige Öko-Ethik kann immer auch als >Ideo­lo­gie betrachtet wer­den.

 

Auch >Sublimation er­spart nicht >Am­bi­valenz.

 

... muß aber Grenzen finden, wenn sie über­leben will.

Außerdem gibt es eine reale Rück­kopplung zwis­chen Ideen und Men­schen. Wer mitein­ander um Res­sour­cen kon­kurriert, wessen Kinder am Ver­hungern sind, der wird sich nicht mit Ideen abgeben kön­nen, die nicht seine reale Situation ver­bes­sern. Solche Ideen wären für ihn Luxus, Zeit- und En­er­giever­schwen­dung, keine Sym­biose­part­ner. Von Menschen gedach­te über­le­bens­fähige Ideen haben also immer auch eine Valenz für das mensch­liche Überle­ben im Konkur­renz­feld. Wenn wir gei­stigen Ge­bil­den nur überhaupt eine Art Le­ben zuge­ste­hen, dann be­kommt eine ent­spre­chend all­ge­mei­ne Öko-Ethik die gleiche Am­biva­lenz wie das Le­ben selbst; Öko-Ethik kann immer auch als Ide­olo­gie im Dien­ste be­grenz­ter Inter­essen be­trach­tet wer­den; die Option eines uni­versell guten Ge­wis­sens können wir erst im Grab ver­wirk­lichen.

 

Das gilt vielleicht nicht nur für den ein­zel­nen, son­dern sogar für die ganze Mensch­heit.

 

 

 

These 5: Sta­fettenüber­gabe von Menschen auf Maschinen

 

 

 

Öko-Ethik könnte schon bald die Ethik technis­cher Subjekte unter­ein­an­der und ge­gen­über der bio­lo­gi­schen Welt ein­schließ­­lich der Men­schen wer­den.

 

 

Technische Evolution überholt biologische Evolution, ...

 

 

 

Die Evolution der tech­nischen Systeme läuft schneller als die der Lebe­wesen - gemes­sen am Zuwachs an Viel­falt und >Kom­ple­xi­tät. Höch­stens Jahrhun­dert­tau­sen­de seit der Erfin­dung des Faust­keils, eini­ge Jahrhun­derte seit der Erfin­dung der Dampfmaschine, eini­ge Jahr­zehnte seit der Erfin­dung des Compu­ters: Vergli­chen mit den Jahr­milli­arden bio­logi­scher Evolu­tion sind das gar keine Zeiten.

 

... da Planung vergebli­che Versuche und Ver­schleiß einspart.

 

Warum aber ist das so? - Tech­nische Sy­steme - Bau­werke und Lei­tungs­netze, Ge­räte, Maschi­nen, Compu­ter, Automa­ten und Ro­boter wer­den ge­plant. Neue Mög­lichkei­ten wer­den zuerst auf dem Plan oder am Mo­dell statt in der Wirk­lich­keit erprobt. Diese >Strategie spart Auf­wand und Ver­schleiß. Le­bewesen dagegen können sich zu­min­dest bis­her nicht pla­nen; sie müssen neue Muta­tio­nen sofort in der wirkli­chen Umwelt er­proben. Wenn es Fehlent­wick­lun­gen sind, gehen sie mit Haut und Haar zu­grunde; bei tech­ni­schen Sy­ste­men sind es nur Ge­dan­ken, die ver­worfen werden oder Zeich­nun­gen, die im Papier­korb lan­den. Wenn aber die tech­nische Entwick­lung dank der wirksameren Strate­gie mit Pla­nung schnel­ler verläuft als die Evo­lution der Le­bewe­sen, dann müßten die Ma­schinen die Lebe­we­sen einschließ­lich der Men­schen über­run­den und ver­drängen - es sei denn, nicht nur ein­zelne tech­ni­sche Sy­steme, son­dern die tech­nische Ent­wicklung ins­gesamt könnte geplant werden. Das aber könnte nur dann gelingen, wenn der techni­sche Wett­lauf der kon­kurrierenden Unter­nehmen und Län­der von einer zen­tralen Instanz der Menschheit ge­stoppt werden könnte. Und dies halte ich für so un­wahr­­scheinlich wie das >Per­petuum mo­bile, weil die Evolu­tion der Le­be­wesen selbst auf das Wir­ken von Kon­kur­renz an­gewiesen ist. Ohne Kon­kur­renz­druck hät­te sich weder Tech­nik, noch Le­ben, noch Mensch­heit ent­wick­eln kön­nen.

 

Diesen Gedanken hat James Paul Wes­ley in seinem Buch "Ecophy­sics" (1974) meines Wis­sens als erster in größe­rer Aus­führ­lichkeit begrün­det. Erst jetzt scheint sich eine brei­tere Dis­kus­sion über die­ses Thema anzu­bah­nen (vgl. etwa Moravec 1988).

 

 

 

Stafette der Öko-Ethik wird von techni­schen Sy­ste­men über­nommen

 

Über kurz oder lang überholen komplexe Maschinenprogramme Menschen auch im Bereich der Ethik.

 

 

 

Für viele ist die Per­spektive der Verdrän­gung der Men­schen durch die Maschinen, des bio­logischen Lebens durch das techni­sche Leben unge­wohnt, ja ärger­lich. Mit dem Ende der Mensch­heit wäre aber nicht "al­les aus" - im Gegen­teil; die Ent­wick­lung der tech­ni­schen Welt würde ra­san­ter als je voran­schreiten. Wenn die Komplexi­tät der tech­nis­chen Sy­ste­me die des menschlichen Ge­hirns über­schrei­tet, dann könnten die­se tech­ni­schen Sy­ste­me als Sub­jekte ver­mut­lich auch eine tiefere Öko-Ethik besitzen als die Menschen. Viel­leicht können die tech­nis­chen Sub­jekte sogar schon heute ent­spre­chend mit gei­stigen Viren der Öko-Ethik ge­impft wer­den. Viel­leicht findet sich schließ­lich die Menschheit als Stu­dienobjekt tech­nischer Systeme in ihrem irdi­schen Terra­rium, viel­leicht auch nur in der Form kom­plexer Softwa­re konser­viert. Vielleicht lassen die techni­s­chen Syste­me sogar den Terra­rien- oder >Cyber­space-Bewoh­nern nach­sichtig den Glau­ben, sie selbst hiel­ten nach wie vor die Fäden der Ent­wick­lung in den Händen ...

 

 

Hier und heute im All­tag: Enges wie wei­tes Kon­zept von Öko-Ethik mög­lich.

 

Ich hoffe, meine Aus­füh­rungen über Öko-Ethik er­wecken nicht den Ein­druck einer Predigt. Den­noch möch­te ich mit drei Sät­zen "Predigt" ab­schlie­ßen:

 

Öko-Ethik kann mit ver­schiedenen Begriffen begründet werden; es gibt keine allgemein­ver­bindliche Begriffsliste

 

Wenn Ihnen das Kon­zept einer Öko-Ethik zu­sagt, die einen verall­ge­meiner­ten Begriff von "Leben" oder "Sub­jekt" ver­wendet, dann gehen  Sie  in Ihrem  Arbeits- und­ Haushalts-All­tag rück­sichtsvoll und "part­ner­schaft­lich" mit den Gegen­ständen um. Wenn nicht,  dann eben nur haus­häl­te­risch. Wenn es Ihnen aber gelingt, im nor­malen Arbeits­streß in ei­nem normalen Konkur­renzfeld auch nur an Ihrem Ar­beits­platz dauer­hafte Ordnung und Frie­den zwi­schen den Ge­gen­ständen zu stiften, ohne an­dere dafür arbei­ten zu lassen - sind Sie schon Meister in Öko-Ethik; Sie nähern sich dann sogar schon ei­nem ethi­schen Per­petu­um mobile!

 

 

 

Quellen

 

 

 

 

Birnbacher, D.: Ökologie und Ethik.

Stutt­gart 1980

 

Hafemann, M.: Die Suche nach einer Umwelt­ethik.

Psy­chologie heu­te 1988/2, S. 41-45

 

Hass, H., Lange-Prollius, H.: Die Schöp­fung geht weiter.

Stuttgart 1978

 

Krueger, F. R.: Physik und Evo­lution.

Ber­lin 1984

 

Löw, R.: Phi­losophische Be­gründung des Na­tur­schut­zes.

Scheidewege 18, 1988/89, S. 149-167

 

Meyer-Abich, K. M.: Von der Umwelt zur Mit­welt.

Schei­de­wege 18, 1988/89, S. 128-148

 

Moravec, H.: Mind Chil­dren.

Cambridge (Mas­sachusetts) 1988

 

Schweitzer, A.: Kultur und Ethik.

Mün­chen 1923

 

Ulrich, P. (Interview): "Eine grüne Marktwirt­schaft wä­re un­glaub­lich schnell mög­­lich".

Cash 29, 19.7.1991

 

Wesley, J. P.: Ecophysics.

Springfield (Illinois) 1974

 

Wickler, W.; Seibt, W.: Das Prinzip Ei­gen­nutz.

Ham­burg 1977

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Begriffe - wie sie hier verwendet werden

 

 

 

 

Ästhetik = Lehre vom Schönen

 

Allmenge = Menge aller Mengen von Ge­genständen - ein fragwürdiger Begriff, da diese Menge sich zugleich selbst als Element ent­halten müßte

 

Ambivalenz = Doppelgesichtigkeit, Doppel­wer­tigkeit

 

Biotop = Lebensraum einer Gemeinschaft aus Pflanzen und Tieren

 

Computerviren = Compu­terprogramme bzw. -pro­grammteile, die sich - ähnlich wie bio­logische Viren - in an­deren Pro­gram­men ver­breiten, vermehren und damit große Schäden an­rich­ten kön­nen

 

Cyberspace = (engl.) "kybernetischer Raum", durch elektronische Da­tenverar­beitung  erzeugter künst­licher Er­lebnis­raum. Vor­stu­fen: Bild­schirm­flip­per, Flug­simu­latoren

 

Design = Formgebung, Entwurf, Gestal­tung

 

Ehrfurcht vor dem Le­ben = nach A. Schweit­zer Grundprinzip des Sittlichen

 

Energie = Fähigkeit eines dy­nami­schen Sy­stems, Arbeit zu leisten. Einer der Grundbegriffe der Phy­sik

 

Energie-Erhaltungssatz = Satz von der Erhaltung der Energie und damit der Un­möglichkeit eines Perpetuum mo­bile 1. Art (einer Maschine, die aus nichts Energie erzeugen kann). Gleichbedeutend mit der Annahme der Gleichförmigkeit der Zeit. Auch "Erster Hauptsatz der Thermodyna­mik" genannt.

 

Entropie = wissen­schaftliches Maß für >Ordnung und Unordnung eines >Sy­stems, oft auch gleichbedeutend mit "Unordnung" verwendet.

 

Entropiesatz = "Zwei­ter Hauptsatz der Ther­mo­dyna­mik", Satz von der Unum­kehr­barkeit der Zeit - unter gängi­gen Bedin­gungen; gleichbedeutend mit der Unmög­lich­keit, Ord­nung ohne En­er­gie­ein­satz zu schaf­fen, ins­be­son­de­re der Un­möglichkeit, ein "Per­pe­tuum mobi­le" 2. Art zu bau­en - eine Ma­schi­­ne, die ohne Rei­bung läuft. Der En­tropie­satz wird in ver­schie­denen Sprich­wör­tern aus­ge­drückt, z.B.: "Der Krug geht so lan­ge zum Brun­nen, bis er bricht".

 

Ethik = Lehre vom Gu­ten

 

Ethos = >Ethik eines Berufsstandes

 

Evolution = Entwick­lung, insbesondere Entwicklung der leben­den >Systeme auf der Erde in gegen­seitiger Beeinflussung und unter Verände­rung der inneren >Struktur

 

Gleichgewicht = Zustand eines Systems, das sich - in gewissen Grenzen - in der Zeit nicht ändert. Ein statisches Gleich­ge­wicht kann ohne Ener­gieumsatz erhalten wer­den, ein >dynamisches Gleichgewicht nur mit Energieumsatz.

 

Guru = geistiger Führer einer Bewegung (meist abfällig gemeint)

 

Holismus = (hier) ethische Rücksicht auf das Ganze

 

Humanismus = (hier) Auffassung, daß das ethisch Gute aus der Natur des Menschen abzuleiten sei

 

Ideologie = interes­sengebundene Welt­anschauung, meist von politi­schen oder ge­sell­schaftlichen Gruppen.

 

Information = Ungewißheit von Ereignissen, zum Beispiel von Zuständen eines >dyna­mischen Sy­stems oder von Störun­gen aus der >Umwelt, gleichzeitig (bis auf das Vorzeichen) aber auch das Wissen, das die Ungewißheit aufhebt. Einheit der In­formation: eine Ja/Nein-Entschei­dung (Bit).

 

Kasuistik = Erörterung von Beispielfällen (etwa in Ethik, Rechtswissenschaft, Theologie)

 

Komplexität = Vielfalt unterschiedlicher Beziehungen in einem >System

 

Konkurrenz = das Beanspruchen der glei­chen >Ressource durch zwei oder mehre­re lebende Systeme.

 

Leben = nicht einheitlich definierter Be­griff. Wesley (1974) definiert ´Leben´ als Eigenschaft von >Systemen, die

-    zumindest >Energie mit ihrer >Umwelt austauschen,

-    deren Elemente (Atome) nach ihrem Einbau in die Systeme einen höheren Grad an räum­licher Ordnung (eine geringere Verteilungs-Entropie) besit­zen als vor ihrem Einbau,

-    die langfristig ihre Ordnung im Rah­men einer >Evolution stei­gern (gleich­be­deutend mit der Fähigkeit, >Infor­mation zu speichern)

Vereinfacht: Eigenschaft von stofflich und energetisch offenen, geord­neten, langfri­stig ihre >Ordnung stei­gern­den >Sy­stemen

 

Modell = Gegenstand, der mit ei­nem anderen Gegenstand - dem "Ur­bild" des Modells - Ei­gen­schaften oder Beziehun­gen ge­meinsam hat. Kann zur Energie-Einsparung beim Erproben von Verhalten in der >Umwelt benutzt werden.

 

Moral = Ethik, meist beschränkt auf eine Konfession oder gesellschaftliche Gruppe

 

Objekt = Gegenstand von Wahrnehmung oder Gedanken. Gegensatz: >Subjekt

 

Ökodesign = Gestal­tung unter ökologi­schen Gesichtspunkten

 

Öko-Ethik = >Ethik un­ter Einbeziehung öko­logischer Gesichts­punkte

 

Ökologie = Wissen­schaft von den Wech­selwir­kungen, insbe­sondere dem Stoff- und Energieaustausch le­bender >Systeme mit ihrer >Umwelt, verall­gemeinert Wissen­schaft von den >Ökosystemen

 

ökologische Nische = der Bereich des Über­lebens einer Organis­menart, allgemein ei­nes >lebenden Systems in einem gedachten >Möglichkei­tenraum. Ent­spricht der "Markt­lücke" in öko­no­mischer Sprechweise.

 

Ökosphäre = der Raum, in dem sich Lebewesen aufhalten - verallgemeinert Gesamtheit aller energieumsetzenden Syste­me mit ihrer stoff­lichen >Umwelt, die sich aus einem Energie­strom spei­sen.

 

Ökosystem = Wirkungs­gefüge aus Lebe­wesen, unbelebten natürlichen sowie ggf. auch techni­schen Bestandteilen, die unterein­ander und mit ihrer >Umwelt in Wech­sel­wir­kung stehen, ins­besondere >Energie und Stoffe austau­schen.

 

Ordnung = Eigenschaft eines >Systems, das ein Teilsy­stem enthält, das als >Mo­dell für ein an­deres Teilsystem dienen kann, weil es >Informa­tion über dieses andere Teilsystem enthält. Gleichbedeu­tend: Negative >Entropie, Redundanz. Gegensatz: Unordnung, >Entropie.

 

Perpetuum mobile = (lat.: "ewig beweg­lich") eine Maschi­ne, die ent­we­der Energie aus nichts schafft - Per­pe­tuum mobile 1. Art, oder ewig ohne Reibung läuft - Perpe­tuum mobile 2. Art. Ersteres wi­der­spricht dem >Ener­gie-Er­hal­tungssatz, zweiteres dem >En­tropie­satz, also den >Haupt­sät­zen der Ther­modynamik. Beide können dem­nach - in gängigen Bereichen der Physik - grund­sätzlich nicht exi­stie­ren

 

Ressourcen = Energie, Rohstoffe, Boden und andere Grundlagen für die Existenz eines leben­den Systems, insbeson­dere menschlicher Gesellschaften.

 

Rückkopplung = Beein­flussung des Ver­haltens eines dynamischen Sy­stems oder Elements durch die Auswirkungen dieses Verhaltens auf seine >Umwelt. Kann zur Verstärkung dieses Ver­haltens führen (positive Rückkopplung) oder zur Brem­sung (negative Rückkopplung).

 

Software = Daten und Programme, im Gegen­satz zu "Hardware", den Geräten, mit denen die Daten und Program­me ver­arbeitet werden.

 

Sozialethik = >Ethik von Gruppen und ihren Vertretern

 

Stabilität = Fähigkeit eines >dynamischen Systems, nach einer Störung in gewissen Grenzen zu einem >Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Nur möglich durch nega­tive >Rückkopplung.

 

Stoffkreislauf = (dynami­scher) Gleichge­wichts­zustand von Stoffströmen in einem >Ökosystem

 

Strategie = ursprüng­lich Kriegskunst. Ver­allgemeinert: allgemei­ne Linie eines le­ben­den Systems für die Auseinandersetzung mit seiner >Umwelt.

 

Subjekt = (hier) Gegenstand, der >Informa­tion aufnehmen kann und gerichtetes Verhalten zeigt. Mit hinreichend allgemei­nen Fassun­gen der Begriffe "Information" und "ge­richtetes Verhalten" kann jeder Gegen­stand als Subjekt betrachtet werden

 

Sublimation = Vergeistigung

 

Symbiose = Zusammen­wirken zwischen zwei oder mehreren lebenden, allgemein energie­umsetzenden >Systemen zu gegenseitigem Vor­teil - meist als ge­gen­seitiger Austausch von Stoffen und Ener­gien dar­stellbar.

 

Synergetik = Lehre vom Aufbau komplexer Ord­nung aus dem zu­nächst cha­o­­­ti­schen Zusammen­wir­ken vieler Einzel­ele­mente

 

System = Gesamtheit von Elementen, die unterein­ander, bei offenen Sy­stemen auch mit ihrer >Umwelt, in Beziehung stehen.

 

Theorie = Istmodell von einem Gegen­stand, das nicht un­mittelbar auf Anwen­dung hin gebildet wird. Gegensatz: Praxis.

 

Umwelt = Im allgemei­nen Sinn = Ge­samt­heit aller Systeme, die mit ei­nem bestimm­ten Sy­stem in Beziehung ste­hen. Im engeren Sinn = die Ge­samt­heit der natürlichen Systeme, die mit der mensch­li­chen Zivilisa­tion in Beziehung stehen, also Ge­stein und Boden, Gewässer, Luft­hül­le, Pflan­zen- und Tier­welt.