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Wie
ökologisch sind Sprichwörter? |
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Öko-Text |
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9 |
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Stand 1.9.2001
(1990) |
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Erster Hauptsatz der Thermodynamik -
Energie-Erhaltungssatz |
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Ernstgenommene Ökologie als Wissenschaft von den Umweltbeziehungen
und Wirkungsnetzen der Lebewesen ... |
1.
Hintergrund: Ökologie und Thermodynamik Nehmen wir an, daß >Ökologie das leistet, was sie leisten will, nämlich
Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen, denen die >Umweltbeziehungen
und Wechselwirkungsnetze von Lebewesen gehorchen und aufgrund dieser Gesetzmäßigkeiten
zu Voraussagen der Zukunft zu kommen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
gelten. Nehmen wir nun weiter an, daß ein Wissen von solchen Gesetzmäßigkeiten
für den Wissensträger die Zahl von Fehlschlägen und vergeblichen Versuchen
in der Umwelt vermindert, und damit verbesserte Überlebens- und Fortpflanzungschancen
für die Ökologie-Anwender bedeutet. Nehmen wir darüberhinaus an,
daß die Menschen nicht grundsätzlich aus dem Chor der Lebewesen
herausfallen, und daß es Gesetzmäßigkeiten gibt, die relativ unabhängig
von >Komplexität und >Evolutionsstand,
also auch für menschliche Umweltbeziehungen gelten. |
... müßte eigentlich in Konkurrenz geraten mit
Sprichwort-Weisheit |
Nehmen wir schließlich an,
daß sich Sprichwörter nicht völlig zufällig bilden, sondern daß in ihnen wirklich
Umwelterfahrungen ihren Ausdruck finden, und daß sie deshalb in der >Symbiose mit Menschen überleben, weil sie ihren Anwendern Vorteile bieten.
Dann könnte in Sprichwörtern - unter anderem - auch elementar formulierte
Ökologie zu finden sein. Die Kombination dieser
Annahmen ist problematisch; sie soll unten näher diskutiert werden. |
Vielleicht enthalten Sprichwörter ökologisches Wissen
... |
Ich möchte hier nicht im einzelnen untersuchen,
wann und warum einzelne Sprichwörter in welcher Umwelt entstanden sind -
sicher gibt es da Unterschiede, die schon in der Literatur dargestellt sind.
Daß in afrikanischen Sprichwörtern Elefanten, Löwen, Giraffen vorkommen,
in asiatischen Tiger, Bambus und Pinselschrift - in europäischen aber
nicht, ist fast >trivial. Interessanter ist, daß Nomaden andere Sprichwörter
haben als Ackerbauern und daß etwa Fleiß oder List in verschiedenen
Umwelten und Wirtschaftsformen, auch in verschiedenen ökologischen Phasen
(Wachstum oder >Gleichgewicht), verschiedenen Wert haben für die Erhaltung
oder Verbesserung von Lebenschancen. Aber auch solche Unterschiede sollen
hier nicht behandelt werden; hier geht es um die allgemeine Vermutung,
daß Sprichwörter Gesetzmäßigkeiten ausdrücken können, die in anderer
Sprache als ökologische, auf noch allgemeinerer Ebene vielleicht als physikalische
Gesetzmäßigkeiten formuliert werden können. |
... etwa
die Hauptsätze der Thermodynamik? |
Ich vermute, daß Sprichwörter
- unter anderem - elementare Formulierungen der zwei sogenannten
>Hauptsätze der >Thermodynamik enthalten. Diese Hauptsätze bedeuten -
elementar beschrieben - folgendes: |
Erster
Hauptsatz der Thermodynamik - Energie-Erhaltungssatz |
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Energie-Erhaltungssatz: "Von nichts kommt nichts". |
Die Gesamtmenge an >Energie bleibt bei allen Vorgängen erhalten; Energie
wandelt sich nur in andere Form um. Beispiel: Der Betrieb einer Maschine. Die
hineingesteckte Energie bleibt erhalten; sie wird letztlich in Form von
Wärme abgestrahlt. Der >Energie-Erhaltungssatz soll letztlich die Annahme bedeuten, daß die
Zeit ">isotrop" ist, daß also kein Zeitpunkt vor dem
anderen ausgezeichnet ist. Eine im technischen Bereich gängige Fassung
des Energie-Erhaltungssatzes ist: "Es gibt keine Maschine, die
Energie aus dem Nichts gewinnt (kein >Perpetuum
mobile erster Art)". |
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Entropiesatz: "Alles hat sein Ende". |
Bei allen Vorgängen nimmt der
>Ordnungs- und Spannungsgrad der beteiligten Energie ab,
der Grad der Unordnung (die ´>Entropie´) zu. Der >Entropiesatz
kann auch als Aussage darüber formuliert werden, daß alle zeitlichen
Vorgänge in die Richtung größerer Wahrscheinlichkeit laufen. Er soll
letztlich die Annahme bedeuten, daß die Zeit eine Richtung hat, und daß
Zukunft und Vergangenheit in der Welt nicht austauschbar sind. Eine im
technischen Bereich gängige Fassung des Entropiesatzes ist: "Es
gibt keine Maschine, die ohne Antrieb ewig weiterläuft (kein Perpetuum mobile
zweiter Art). |
Trotz ihrer Grenzen ... |
Beide Hauptsätze der Thermodynamik
haben wohl einen begrenzten Geltungsbereich. An den Grenzen des Beobachtbaren
im subatomaren Bereich sowie an den Grenzen des Beobachtbaren in der Vergangenheit
könnte sich ihre Geltung relativieren. Es gibt zum Beispiel das Konzept,
daß Energie- und >Gravitationspotentiale sich
bei geeigneter Wahl des Vorzeichens global zu Null aufheben und damit der
Energie-Erhaltungssatz im größeren Zusammenhang zu einem
Nichts-Erhaltungssatz wird. Außerdem könnte der Begriff der Wahrscheinlichkeit
und damit auch der Begriff der Zeit in extremen Bereichen ´entarten´, so
daß sich dort eventuell auch der Entropiesatz relativieren ließe. |
... gelten die Hauptsätze der Thermodynamik in
weiten Bereichen auch alltäglicher Erfahrung |
Auf ökologischer Ebene und
unter irdischen Bedingungen bedeutet die Geltung des Energie-Erhaltungssatzes
etwa, daß - da die in der Zeiteinheit von der Sonne auf die Erde
eingestrahlte Energie erfahrungsgemäß im wesentlichen konstant ist, da
also der Energiestrom, der den Lebewesen auf der Erde zur Verfügung
steht, begrenzt ist, und da die Lebewesen selbst keine Energie aus dem Nichts
schaffen können - alle Lebewesen um die begrenzte Energie konkurrieren
müssen, die zum großen Teil letztlich aus dem Lichtstrahl stammt, der von der
Sonne auf die Erde fällt. Die Geltung des Entropiesatzes
bedeutet etwa, daß die Evolution weitergeht, daß also die Lebewesen in gegenseitiger
Wechselwirkung immer weiter in den Raum der Möglichkeiten hinausdiffundieren,
und daß sie, weil sie miteinander konkurrieren, sich im allgemeinen
gegenseitig bis hart an den jeweiligen Existenzrand drücken. |
Sie müßten auch in Sprichwörtern stecken. |
Vielleicht ergeben sich im
folgenden Hinweise auf Verbindungen zwischen solchen allgemeinen Gedanken
und der Botschaft von Sprichwörtern. |
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Sprichwörter bestreichen verschiedene Bereiche: |
Es gibt Sprichwörter, die
Erfahrungen in ganz speziellen Bereichen beschreiben, etwa im Bereich des
Wetters, des Zusammenlebens von Menschen, des Wirtschaftens und der
Psychologie. |
Wetter |
Wetterregeln sind oft allgemein und
bilden die auch meteorologisch begründeten Besonderheiten des Wetters im
Jahreslauf ab: "Der April macht, was er will." Oft sind sie
auch auf die spezielle klimatische Situation in einer Landschaft bezogen.
Wieviel Vorhersagekraft in diesen Regeln steckt, könnten nur örtliche Untersuchungen
klären. Daß es aber örtliche Regelmäßigkeiten im Wetter gibt, ist jedem
geläufig, etwa der Gegensatz von Föhn und Stau an einem Gebirge, der
Tagesgang der Talauf- und -abwinde, die Wolkenfahnen im Windschatten von
Bergen und ähnliches. "Hat der Kaiser (der Wilde Kaiser) einen Hut
(aus Wolken), wird das Wetter gut. Hat der Kaiser einen Sabel, wird das
Wetter miserabel." ... |
Fleißig arbeiten und sparen ... |
Einige Sprichwörter behandeln
wirtschaftliche Dinge, halten etwa zum Sparen an, etwa "Wer den
Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert" oder "Hast du
was, bist du was". Eine ganze Reihe von Sprichwörtern betont die
Unausweichlichkeit von Arbeit und den Wert von Fleiß. "Sich regen
bringt Segen", "Wer rastet, der rostet", "Ohne
Fleiß kein Preis", "Morgenstund hat Gold im Mund",
"Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen",
auch "Doppelt genäht, hält besser". Diese ´arbeitsamen´
Sprichwörter könnten als elementare Fassungen der Hauptsätze der Thermodynamik
aufgefaßt werden. Dynamische Ordnung ist nur unter Energie-, das heißt im
menschlichen Lebensbereich Arbeitseinsatz zu halten und fortzuentwickeln.
Ohne Arbeit bauen sich dynamische Ordnungen ab in die Richtung auf den
wahrscheinlicheren Zustand, nämlich Nivellierung der Unterschiede, höhere
Unordnung. |
... allerdings auch Zufall und Glück. |
Allerdings gibt es auch
Sprüche wie "Der dümmste Bauer hat oft die größten Kartoffeln",
ein gewisser Gegensatz zu den "fleißigen" Sprichwörtern. Man könnte
sich denken, daß Widersprüche zwischen verschiedenen Sprichwörtern
daher rühren, daß sie den Erfolg verschiedenartiger, miteinander in Wechselwirkung
stehender >Strategien beschreiben, der nur dann gegeben ist, wenn
nicht alle gleichzeitig oder ein einzelner nicht in jeder Lebenslage nach
der gleichen Strategie vorgehen. Das heißt, die Gegensätze zwischen
verschiedenen Sprichwörtern könnten ein pluralistisches Strategienkonzept
nahelegen. - Allerdings könnte ein solches pluralistisches Strategienkonzept
nicht selbst als Strategie auf der gleichen Ebene wie die Vielzahl der betreffenden
Strategien formuliert werden, da es selbst nicht der Pluralität unterworfen
sein dürfte, ohne widersprüchlich zu werden. Als charakteristisch
erscheint, daß der Lohn von Arbeit in Sprichwörtern meist nicht
"Glück" ist, sondern höchstens "Segen" oder
"Gold". "Glück" ist Glückssache, nicht Sache von Fleiß
und Anstrengung, umgekehrt Unglück nicht unbedingt die Folge persönlicher
Schuld - das sagen die Glücks- und Unglückssprichwörter (s.u.) deutlich. |
"Unternehmenspsychologie" und
"Marketing", ... |
Einige Sprichwörter
beschreiben wirtschaftliche Erfahrungen im Verbund mit psychologischen
Erfahrungen, etwa "Wie gewonnen, so zerronnen": Ein
Aufsteigen auf ein höheres Energieniveau nützt nichts, wenn kein Programm
dafür vorliegt, dieses höhere Niveau auch zu halten; wirtschaftlicher
Erfolg bedeutet ein dynamisches, kein statisches Gleichgewicht. Zunächst
wirtschaftliche, darüber hinaus wohl auch psychologische bzw. allgemeine
Selbstverstärkung, das ´Aufschaukeln´ wie sie in einem energieumsetzenden
>System eher der Normalfall sind, beschreibt der Spruch "Der
Teufel scheißt immer auf den großen Haufen" oder auch der Spruch "Wo
Tauben sind, fliegen Tauben zu". Umgekehrt wird auch das (katastrophale)
Abschaukeln beschrieben: "Ein Unglück kommt selten allein"
oder "Wer dem Teufel den kleinen Finger gibt, dem nimmt er die ganze
Hand". |
Psychologie und Soziologie ... |
Viele Sprichwörter beschreiben
psychologische und soziale Erfahrungen: "Kindermund tut
Wahrheit kund", "Eine Krähe hackt der anderen nicht das
Auge aus", "Am Abend wird der Faule fleißig", "Trau,
schau, wem", "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und
wenn er auch die Wahrheit spricht", "Wie man sich bettet, so
liegt man", "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich",
"einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul", "Unter
Blinden ist der Einäugige König", "Ein gutes Gewissen ist
ein sanftes Ruhekissen", "Wes Brot ich eß, des Lied ich
sing", "Viel Feind, viel Ehr", "Kleider machen
Leute". |
... überall
könnten Ökologie und Thermodynamik drinstecken. |
Manche dieser psychologischen
und sozialen Gesetzmäßigkeiten könnten sich auf allgemeinere ökologische
bzw. physikalische Gesetzmäßigkeiten zurückführen lassen, etwa indem man
die Zusammenarbeit unter Menschen - ähnlich wie die unter Tieren - als Symbiose
zur Verbesserung der grundsätzlich knappen Energiebilanz deutet ("Eine
Krähe ...") und den Menschen in weiten Bereichen Motive der
Energie-Ökonomie unterstellt ("Wes Brot ..."). Die
ökologisch grundsätzliche Zerbrechlichkeit von Symbiosen als Zusammenarbeit
in einem nur begrenzten Bereich vor dem Hintergrund globaler >Konkurrenz, also die grundsätzliche >Ambivalenz zwischen Menschen könnte sich in den
Ambivalenzsprichwörtern ("Pack ...", "Trau ...")
ausdrücken. Eine gewisse pessimistisch angehauchte Skepsis scheint sich in
den psychologischen Sprichwörtern abzuzeichnen - also vielleicht eine Art
Absage an die Idee des Perpetuum mobile auf der psychologischen Ebene? |
Zumindest ist "Arbeit" fast das gleiche
wie "Energie", ... |
Am ehesten lassen sich wohl die
Sprichwörter unmittelbar ökologisch deuten, die Erfahrungen mit Glück
und Unglück und mit der Arbeit beschreiben. |
... und Zufall spielt im Alltag ebenso eine Rolle
wie in der Thermodynamik. |
Da gibt es einige Sprichwörter,
die allgemein feststellen, daß viel >Zufall aus der Umwelt zu erwarten ist, und daß man sich
nicht ohne weiteres darauf verlassen kann: "Glück und Glas, wie
leicht bricht das!", "Man soll den Tag nicht vor dem Abend
loben", "Es ist noch nicht aller Tage Abend", "Hochmut
kommt vor dem Fall". Solche Sprichwörter drücken gleichzeitig aus,
daß Menschen nicht von vorneherein gewappnet sind gegen alle zufälligen
Störungen durch die Umwelt. Der Mensch erlebt sich als unvollständig stabilisiertes
System. |
Im "Krug am Brunnen" steckt der Entropiesatz
... |
"Der Krug geht so lange
zum Brunnen bis er bricht" und "Lügen haben kurze Beine" beschreiben
eine ähnliche Erfahrung. In einer Umwelt, die Zufall, enthält, die also
nicht bis in alle Einzelheiten vorhergesehen werden kann, wird ein System,
das sich nicht immer wieder neu in dieser Umwelt stabilisieren kann,
schließlich längerfristig durch eine Umweltstörung zer-stört. Daß ein Krug
nie bricht, daß es also auf allen seinen Wegen zum Brunnen immer wieder aufs
Neue gut geht, daß sich die bei jedem Brunnengang beteiligten winzigen
Einzelereignisse nie zu dem Gesamtereignis des Zubodenfallens oder
Anstoßens des Kruges überlagern, ist zwar nicht unmöglich, auf Dauer aber
extrem unwahrscheinlich. Gerade dieses Sprichwort könnte wohl als eine
sehr elementare Fassung des Entropiesatzes gedeutet werden - das Sprichwort
von den kurzen Beinen der Lügen als eine speziellere Fassung auf
psychologischer Ebene. |
... vielleicht auch in anderen, den Zufall betonenden
Sprichwörtern. |
Solche Sprichwörter könnten
vor einer Unterschätzung der Komplexität der Umwelt warnen und dazu anregen,
kleinere Schritte bei der Erkundung neuer Umweltmöglichkeiten zu
machen. Andererseits gibt es auch Sprichwörter, die einen optimistischen
Zug haben und wohl die Funktion, selbstaufschaukelnde Depression zu
bremsen: "Auf Regen folgt Sonnenschein", "Wenn die
Nacht am dunkelsten ist, ist der Tag am nächsten", "Und ist
ein Unglück noch so groß, es trägt ein Glück in seinem Schoß".
Einige Sprichwörter fordern zu einer gewissen allgemeinen Gelassenheit auf:
"Kommt Zeit, kommt Rat". "Zeit heilt Wunden".
"Man muß die Feste feiern, wie sie fallen". "Gut
Ding will Weile haben". Auch "Viel Licht,
viel Schatten" scheint mir als eine Fassung des Entropiesatzes
deutbar, insbesondere in der Allgemeinheit, mit der der Spruch angewandt
wird: Wo in einem System Ordnung erhöht wird ("Licht"), da geht
das aufkosten eines anderen (Teil)Systems, wo eben dadurch die Unordnung
erhöht wird ("Schatten"). Insgesamt, so scheint mir,
läßt sich eine ganze Reihe von Sprichwörtern dem Entropiesatz in seiner
Deutung für dynamische Systeme zuordnen. Am deutlichsten scheint mir das -
neben dem Sprichwort mit dem Krug am Brunnen - bei einem Sprichwort der Fall
zu sein, das eine weitgespannte Wahrscheinlichkeitsaussage macht, das
heißt, eine Allaussage, die zu ihrer Bestätigung nicht der Überprüfung
aller Einzelfälle bedarf, ebensowenig wie die grundsätzliche Ablehnung
von Patententwürfen für das Perpetuum mobile: "Die Bäume wachsen
nicht in den Himmel". |
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Skepsis gegenüber Sprichwort-Weisheit hat gute
Gründe: Wissen, das mein Konkurrent mit mir teilt, bringt
mich im Konkurrenzfeld nicht weiter. |
Nun kann man fragen: Welchen Nährwert
haben denn Sprichwörter überhaupt? Wie weise sind Sprichwörter? Dazu könnte
man etwa folgendermaßen argumentieren: Sprichwörter könnten nur dann mitteilungswürdiges
Wissen enthalten, wenn sie nicht umfassend sind, wenn also die
Ökologie im Sprichwort nicht auch die Menschen in ihren Entscheidungen im
Konkurrenzfeld mit umfaßt. Nur dann könnte ein solches Wissen dem Anwender
Überlebens- und Fortpflanzungsvorteile gegenüber seinen Konkurrenten
bieten. Wenn das Wissen aber letztlich nichts anderes ausdrückt als Begrenztheit
und Vergeblichkeit menschlichen Tuns im Konkurrenzfeld, den >Sisyphos-Charakter menschlicher Arbeit, dann brächte dieses
Wissen keinen Vorteil gegenüber dem Konkurrenten, wäre also eher Wissensballast
und damit eine Gefahr für Überleben und Fortpflanzung. Man könnte verallgemeinern:
Für Systeme, die selbst in einem Konkurrenzfeld überleben müssen, ist ein
Wissen über übergeordnete Zusammenhänge und die damit verbundene Hoffnungslosigkeit
nur bis zu einem gewissen Grad verträglich; darüber hinausgehendes Wissen
kann sogar ihre Existenz gefährden. Allerdings könnte es einen
Überlebensvorteil im Konkurrenzfeld bedeuten, sich einem nur wenig umfassenderen
Wissen auszusetzen als der Konkurrent, also nicht nur ein bißchen cleverer
über Konkretes Bescheid zu wissen, sondern auch ein bißchen weiser zu sein.
Aus welchem Grund hätte sich denn sonst die Bemühung um umfassenderes
Wissen herauszüchten können? |
Vielleicht enthalten sogar die Hauptsätze der
Thermodynamik kein wirkliches Wissen? |
Man könnte auch anders
argumentieren: "Ein Wissen, das den Anwender in seinen Entscheidungen
mit einbezieht, wird unanwendbar. Die Zukunft muß offen bleiben; ohne
wirkliche Entscheidungen kann man sich die Sprichwörterei auch sparen. Ökologie,
umfassend auf Menschen angewendet, bringt keine >Information, so wenig, wie der Entropiesatz. Daß ein
Perpetuum mobile nicht möglich ist, ist ein Wissen, das fast verstauben
darf; es läßt sich kaum anwenden; vielleicht ist es gar kein ´Wissen´. Es
gibt sogar die Auffassung, daß der Entropiesatz kein Naturgesetz ist (was ja
für seine Grundsätzlichkeit spricht). Interessant sind nur die Bemühungen,
sich einem solchen Perpetuum mobile so weit wie möglich anzunähern. Nur der
Widerspruch zu umfassenden Gesetzmäßigkeiten motiviert und bringt >Strukturen zur Entfaltung. Daß wir alle sterben müssen,
ist trivial. Daß es vielleicht möglich ist, die Vergangenheit als >Software wieder auferstehen zu lassen, die christliche
Verheißung der Unsterblichkeit als technische Aufgabe zu deuten, das ist
viel interessanter." Für die Sprichwörter könnten sich daraus
verschiedene Vermutungen ergeben: |
Vielleicht wirken Sprichwörter auf Teilgebieten
anders ... |
Entweder enthalten
Sprichwörter keine umfassende Ökologie, sondern nur Ökologie auf
Teilgebieten, und lassen sich deshalb als praktisches Wissen innerhalb einer
gesellschaftlichen Gruppe austauschen und zur Verbesserung der Überlebenschancen
gegenüber der äußeren Konkurrenz verwenden: Sprichwörter als gruppenbezogener
Austausch von begrenztem Wissen. Typische Beispiele hierfür könnten etwa
die lokalen oder regionalen Wetterregeln sein, oder auch die Sprichwörter
über den Charakter von Völkern, mit denen man zu tun hat ("Ein yyy
betrügt zehn xxx, ein zzz betrügt zehn yyy ..."). |
... als umfassende Sprichwörter. |
Oder Sprichwörter enthalten
tatsächlich umfassende Ökologie, also letztlich elementare Darstellungen
der Hauptsätze der Thermodynamik. Dann aber hätten sie nicht den Charakter
anwendbaren Wissens; die Funktion wäre eher so wie die religiöser Aussagen -
eine psychotherapeutische Funktion, etwa zu mehr Gelassenheit anzuregen,
etwas Abstand zu gewinnen, etwas Sorge und Angst von sich zu tun. Ein
Sprichwort einzuflechten könnte eine ähnliche Funktion haben wie etwa ein
Streicheln über den Unterarm; die >Semantik der Sprichwörter wäre sekundär; die >Pragmatik primär. Typische Beispiele hierfür wären
Sprichwörter, die fast keine Information enthalten, die vom reinen Inhalt
her trivial sind, etwa "Auf Regen folgt Sonnenschein". |
Vielleicht sind pragmatische Funktionen der Sprichwörter
oft wichtiger als ihr Inhalt. |
Beide Formen könnten
nebeneinander vorkommen. Es könnte sein, daß sogar eine komplexe Gemengelage
von "Weisheit" und Beschränktheit, von inhaltsreich und trivial,
auch eine Rollen- und Aufgabenteilung zwischen verschiedenen Angehörigen
der gleichen sozialen Gruppe beim Umgang mit Sprichwörtern das ist, was
sich im Gleichgewichtszustand einstellt, nicht etwa eine Gleichschaltung
der Bemühung um Wissen oder Weisheit. Von ferne gesehen könnte dann
Sprichwortweisheit als widersprüchliches, nahezu gehaltloses Aussagengewimmel
erscheinen, aus der Nähe betrachtet als nahezu ">fraktal" fein verästelte Volksweisheit. Beide Auffassungen
könnten sich gegenseitig kaum widerlegen. |
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Rauch, K. (Hrsg.): Sprichwörter
der Völker. Düsseldorf 1963 Hass, H.; Lange-Prollius, H.:
Die Schöpfung geht weiter. Stuttgart 1978 Krueger, F. R.: Physik und Evolution.
Berlin 1984 |
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Begriffe, wie sie hier
verwendet werden |
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Ambivalenz = Doppelgesichtigkeit, Doppelwertigkeit Energie = Fähigkeit eines dynamischen
Systems, Arbeit zu leisten. Einer der Grundbegriffe der Physik Energie-Erhaltungssatz = Satz von der Erhaltung der
Energie und damit der Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile 1. Art (einer
Maschine, die aus nichts Energie erzeugen kann). Gleichbedeutend mit der
Annahme der Gleichförmigkeit der Zeit. Auch "Erster Hauptsatz der
Thermodynamik" genannt. Entropie = wissenschaftliches Maß
für >Ordnung und Unordnung eines >Systems, oft auch gleichbedeutend
mit "Unordnung" verwendet. Entropiesatz = "Zweiter Hauptsatz
der Thermodynamik", Satz von der Unumkehrbarkeit der Zeit - unter
gängigen Bedingungen; gleichbedeutend mit der Unmöglichkeit, Ordnung
ohne Energieeinsatz zu schaffen, insbesondere der Unmöglichkeit,
ein "Perpetuum mobile" 2. Art zu bauen - eine Maschine, die
ohne Reibung läuft. Der Entropiesatz wird in verschiedenen Sprichwörtern
ausgedrückt, z.B.: "Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er
bricht". Evolution = Entwicklung, insbesondere
Entwicklung der lebenden >Systeme auf der Erde in gegenseitiger
Beeinflussung und unter Veränderung der inneren >Struktur fraktal = in immer gleicher oder
ähnlicher Weise bis ins Unendliche fein verästelt Gleichgewicht = Zustand eines Systems, das
sich - in gewissen Grenzen - in der Zeit nicht ändert. Ein statisches Gleichgewicht
kann ohne Energieumsatz erhalten werden, ein >dynamisches Gleichgewicht
nur mit Energieumsatz. Gravitation = Schwerkraft, Anziehung zwischen
Massen Hauptsätze der Thermodynamik = >Energie-Erhaltungssatz
und >Entropiesatz. Information = Ungewißheit von
Ereignissen, zum Beispiel von Zuständen eines >dynamischen Systems oder
von Störungen aus der >Umwelt, gleichzeitig (bis auf das Vorzeichen) aber
auch das Wissen, das die Ungewißheit aufhebt. Einheit der Information: eine
Ja/Nein-Entscheidung (Bit). isotrop = gleichförmig in jeder
Richtung Komplexität = Vielfalt unterschiedlicher
Beziehungen in einem >System Konkurrenz = das Beanspruchen der gleichen
>Ressource durch zwei oder mehrere lebende Systeme. Ökologie = Wissenschaft von den Wechselwirkungen,
insbesondere dem Stoff- und Energieaustausch lebender >Systeme mit ihrer
>Umwelt, verallgemeinert Wissenschaft von den >Ökosystemen Ökosystem = Wirkungsgefüge aus Lebewesen,
unbelebten natürlichen sowie ggf. auch technischen Bestandteilen, die
untereinander und mit ihrer >Umwelt in Wechselwirkung stehen, insbesondere
>Energie und Stoffe austauschen. Ordnung = Eigenschaft eines >Systems,
das ein Teilsystem enthält, das als >Modell für ein anderes Teilsystem
dienen kann, weil es >Information über dieses andere Teilsystem enthält.
Gleichbedeutend: Negative >Entropie, Redundanz. Gegensatz: Unordnung,
>Entropie. Perpetuum mobile = (lat.: "ewig beweglich")
eine Maschine, die entweder Energie aus nichts schafft - Perpetuum
mobile 1. Art, oder ewig ohne Reibung läuft - Perpetuum mobile 2. Art.
Ersteres widerspricht dem >Energie-Erhaltungssatz, zweiteres dem
>Entropiesatz, also den >Hauptsätzen der Thermodynamik. Beide
können demnach - in gängigen Bereichen der Physik - grundsätzlich nicht existieren Pragmatik = (in der
Sprachwissenschaft) Lehre von der Beziehung sprachlicher Gebilde zum Tun und
den Absichten des Sprechenden - verkürzt auch diese Beziehung selbst. Ressourcen = Energie, Rohstoffe, Boden
und andere Grundlagen für die Existenz eines lebenden Systems, insbesondere
menschlicher Gesellschaften. Selektion = Auslese, Vernichtung von
Möglichkeiten, insbesondere in der >Evolution. Gegensatz: >Mutation Semantik = Lehre von der Beziehung
sprachlicher Gebilde zum damit Bezeichneten, verkürzt auch diese Beziehung
selbst Sisyphos = Gestalt der griechischen
Sage; muß zur Strafe für einen Frevel einen Felsblock immer wieder zum
Gipfel eines Berges rollen, von dem er kurz vor Erreichen des Ziels wieder
hinabrollt. Symbol für die Vergeblichkeit menschlichen Tuns. Software = Daten und Programme, im Gegensatz
zu "Hardware", den Geräten, mit denen die Daten und Programme verarbeitet
werden. Strategie = ursprünglich Kriegskunst.
Verallgemeinert: allgemeine Linie eines lebenden Systems für die
Auseinandersetzung mit seiner >Umwelt. Struktur = Gesamtheit der Beziehungen
in einem >System Symbiose = Zusammenwirken zwischen
zwei oder mehreren lebenden >Systemen zu gegenseitigem Vorteil - meist
als gegenseitiger Austausch von Stoffen und Energien darstellbar. System = Gesamtheit von Elementen,
die untereinander, bei offenen Systemen auch mit ihrer >Umwelt, in
Beziehung stehen. Thermodynamik = Wärmelehre, heute z.T.
auch verallgemeinert auf alle Anwendungen des >Entropiesatzes. trivial = selbstverständlich, ohne
Erkenntniswert Umwelt = Im allgemeinen Sinn = Gesamtheit
aller Systeme, die mit einem bestimmten System in Beziehung stehen. Im
engeren Sinn = die Gesamtheit der natürlichen Systeme, die mit der menschlichen
Zivilisation in Beziehung stehen, also Gestein und Boden, Gewässer, Lufthülle,
Pflanzen- und Tierwelt. Zufall = Unvorhersagbarkeit von
Ereignissen. Gegensatz: >Ordnung |
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